Jubiläumsfilme des Aufführungsjahres 1924
Die erste deutsche parlamentarische Demokratie von 1918 bis 1933 bildete den gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Rahmen für eine der interessantesten Perioden der internationalen Filmgeschichte.
Stummfilme wie Robert Wienes expressionistischer Horrorfilm "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920), Friedrich Wilhelm Murnaus Vampirgeschichte "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens" (1922) und Fritz Langs Science-Fiction-Monumentalfilm "Metropolis" (1927) entstanden in dieser Zeit, sind vielzitierte Meilensteine der Filmgeschichte und ziehen auch heute noch ein weltweites Publikum in ihren Bann.
Die Initiative "100 Jahre Stummfilm-Klassiker der Weimarer Republik" stellt jedes Jahr eine Auswahl an Filmen vor, die dann ihr hundertjähriges Veröffentlichungsjubiläum feiern. Die Zusammenstellung orientiert sich an der filmhistorischen Bedeutung der Werke, also an inhaltichen, technischen und gestalterischen Kriterien. Auch wurde die Rezeptionsgeschichte berücksichtigt. Die Zuordnung der Film an das jeweilige Jahr richtet sich, soweit möglich, nach den Uraufführungsterminen.
♦ “Sylvester”, Regie: Lupu Pick, Uraufführung am 03. Januar 1924
♦ “Die Finanzen des Großherzogs”, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau, Uraufführung am 07. Januar 1924 im Berliner Ufa-Palast am Zoo
♦ “Helena. Der Untergang Trojas”, Regie: Manfred Noa, Uraufführung von Teil 1 am 21. Januar 1924 im Mozartsaal Berlin, Uraufführung von Teil 2 am 04. Februar 1924 im Mozartsaal Berlin
♦ “Die Nibelungen”, Regie: Fritz Lang, Uraufführung von Teil 1 am 14. Februar 1924 im Berliner Ufa-Palast am Zoo, Uraufführung von Teil 2 am 26. April 1924 im Berliner Ufa-Palast am Zoo
♦ “Das Wachsfigurenkabinett”, Regie: Paul Leni, Uraufführung am 06. Oktober 1924 in Wien, deutsche Erstaufführung am 13. November 1924 in Berlin
♦ “Nju”, Regie: Paul Czinner, Uraufführung am 22. November 1924 im Alhambra Berlin
♦ "Der letzte Mann"; Regie: Friedrich Wilhelm Murnau, Uraufführung am 23. Dezember 1924 im Berliner Ufa-Palast am Zoo
Die Filmbesprechungen werden sukzessive veröffentlicht.
Filmkanon für das Aufführungsjahr 1924
Die Filmbesprechung wird demnächst veröffentlicht.
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Titel: Sylvester
Regie: Lupu Pick
Drehbuch: Carl Mayer
Kamera: Karl Hasselmann, Guido Seeber
Darsteller:innen: Edith Posca, Eugen Klöpfer, Frida Richard, Karl Harbacher, Julius E. Herrmann, Rudolf Blümner
Produktionsfirma: Rex-Film AG Berlin
Produzent: Lupu Pick
Uraufführung: 03.01.2024
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Die Filmbesprechung wird demnächst veröffentlicht.
Autor:
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Titel: Die Finanzen des Großherzogs
Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
Drehbuch: Thea von Harbou
Kamera: Karl Freund, Franz Planer
Darsteller:innen: Mady Christians, Robert Scholz, Harry Liedtke, Alfred Abel, Adolphe Engers, Hermann Vallentin, Julius Falkenstein, Guido Herzfeld, Ilka Grüning, Walter Rilla
Produktionsfirma: Union-Film der Ufa, Berlin
Produzent: Erich Pommer
Uraufführung: 07. Januar 1924 im Berliner Ufa-Palast am Zoo
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Der Trojanische Krieg als blau-weißer Monumentalfilm
Es begann mit bayerischen Begehrlichkeiten auf ein Stück am Kinohimmel: Ab 1919 sollte die zum Kinokonzern aufgeblasene bayerische Filmproduktionsgesellschaft Emelka, die aus der Münchener Lichtspielkunst GmbH (M.L.K. = Emelka) des Kinopioniers Peter Ostermayr hervorgegangen war, als ein künstlerischer wie ökonomischer Gegenpart zu dem während des Ersten Weltkriegs gegründeten Berliner Ufa-Filmkonglomerat etabliert werden. München war seinerzeit im Vergleich zur Hauptstadt in Sachen Filmproduktionen eher Diaspora. In den Studios der Ufa dagegen entstanden wie am Fließband erfolgreiche Produktionen aller Genres: vom Kulturfilm bis zur Wochenschau, vom seichten Unterhaltungsstreifen bis zum künstlerisch ambitionierten Großfilm.
Auch die in München ansässige Bavaria Film, eine Tochtergesellschaft der Emelka, wollte von diesem Markt ein gutes Stück abhaben. Bereits mit dem aufwändigen und anspruchsvollen Ausstattungsfilm “Nathan der Weise” (D 1922) machte die von dem risikofreudigen Produzenten Erich Wagowski geleitete Filmfirma von sich reden. Nun sollte mit einem noch üppigeren Monumentalfilm, der aufgrund der Inflation und den internationalen Wechselkursen in Deutschland relativ kostengünstig produziert werden konnte, die Leistungsfähigkeit der bayerischen Filmbranche nachdrücklich unter Beweis gestellt und ein massentauglicher Kinokassenknüller abgeliefert werden.
Mit der berühmten List um das Trojanische Pferd, wilden Schlachten auf Land und zu Wasser und einer Herzschmerzgeschichte rund um die schöne Helena bot der Trojanische Krieg nach dem literarischen Epos Ilias viele Möglichkeiten für Schauwerte und dramaturgische Raffinesse. Hans Kyser, der später auch das Drehbuch zu Murnaus “Faust – eine deutsche Volkssage” (D 1926) verfassen sollte – entwickelte daraus das Filmskript für “Helena. Der Untergang Trojas”. Ein renommiertes internationales Schauspielerensemble, unter anderem mit Carl de Vogt, Hanna Ralph, Carlo Aldini, Albert Bassermann, Adele Sandrock, Wladimir Gaidarow und Albert Steinrück, kam vor der Kamera zum Einsatz. Und mit der Regie wurde Manfred Noa betraut, der sein inszenatorisches Feingefühl, seine künstlerischen Ambitionen und sein Geschick bei der Bewältigung von organisatorisch-technischen Herausforderungen schon bei “Nathan der Weise” gezeigt hatte.
Am 21. Januar 1924 kam der erste Teil der opulenten Griechen-Saga, nach aufwändigen Dreharbeiten am Wörthersee und in München, in die Kinos. Bemerkenswerterweise fand die Uraufführung in Berlin statt, man wollte dann wohl doch auf Nummer sicher gehen und suchte den großen Auftritt in der pulsierenden deutschen Metropole. Die erste Münchner Aufführung von “Helena. Der Untergang Trojas” datiert dann auf den 06. März 1924, dort lief der Film überaus erfolgreich, erfolgreicher sogar als Fritz Langs Monumentalfilm “Die Nibelungen”, dessen erster Teil seine Premiere am 14. Februar 1924 ebenfalls in Berlin feierte.
Wie erfolgreich war nun der bayerische Angriff auf die preußische Filmindustrie? Letztlich entwickelten die außerordentlichen Bemühungen keine unmittelbare Sogwirkung, in der Stummfilmzeit konnte die Emelka nach dem Troja-Streifen keinen herausragenden künstlerischen Erfolg mehr verbuchen. Bezeichnenderweise zeigte „Helena“-Regisseur Manfred Noa nach den Dreharbeiten dem bayerischen Filmstandort die kalte Schulter und siedelte nach Berlin über. Die Produktionsbedingungen in München ließen sich einfach nicht mit den technischen Möglichkeiten und dem kreativen Spirit der Filmhauptstadt Berlin vergleichen. Zudem wurde das politische Klima in Bayern zunehmend reaktionärer, ein schlechter Nährboden für schöpferische Köpfe und künstlerische Projekte. Die Emelka meldete bis 1936 zwei Mal Konkurs an. 1936 entstand daraus die Bavaria, die bis 1945 nationalsozialistische Dutzendware ablieferte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sie sich pointiert im Mediengeschäft etablieren, gerade auch im Bereich TV-Produktionen.
Stefan Drößler, dem Direktor des Filmmuseums München, und seinem Team ist es zu verdanken, dass in den letzten Jahren wichtige bayerische Emelka-Produktionen, die jahrzehntelang nur in bescheidener Überlieferung vorlagen, nach aufwändigen Restaurierungsarbeiten aus dem übermächtigen Schatten der Ufa-Produktionen nach und nach hervortreten konnten und nun die künstlerische Anerkennung finden, die ihnen zusteht. Dazu gehören auch die Veröffentlichung im Rahmen der DVD-Reihe “Edition Filmmuseum” und der Verleih an Abspielstellen. Von dieser filmhistorischen Grundlagenarbeit der Münchner profitieren nun nicht nur Filmbegeisterte in Bayern, sondern auch in Berlin und im Rest der Welt.
Autor: Frank Hoyer
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Titel: Helena. Der Untergang Trojas
Regie: Manfred Noa
Drehbuch: Hans Kyser
Kamera: Gustave Preiss, Ewald Daub
Darsteller:innen: Edy Darclea, Albert Steinrück, Hanna Ralph, Wladimir Gaidarow, Carl de Vogt, Adele Sandrock, Albert Bassermann, Carlo Aldini, Friedrich Ulmer, Karl Wüstenhagen, Carl Lamac
Produktionsfirma: Bavaria Film AG, München
Uraufführung: Teil 1 am 21. Januar 1924 im Mozartsaal Berlin, Uraufführung von Teil 2 am 04. Februar 1924 ebenda
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Ein visuell beeindruckender Filmklassiker mit Drache und Rache
Mit seinem zweiteiligen Monumentalfilm "Die Nibelungen", dessen erster Teil "Siegfried" am 14. Februar 1924 in Berlin uraufgeführt wurde, setzte Fritz Lang ein Ausrufezeichen in der deutschen und internationalen Filmgeschichte.
Noch heute beeindrucken die stilistische Geschlossenheit des Werks und die seinerzeit erstaunlichen Innovationen in Tricktechnik und Lichtgebung. Thea von Harbous Drehbuch bemühte sich nicht, alle Elemente der im Nibelungenlied erzählten Geschichte getreu wiederzugeben. Vielmehr traf sie eine Auswahl, zog Handlungsstränge zusammen und konzentrierte sich auf das Kerngeschehen. Dadurch erreichte sie dramatische, filmische Zuspitzungen auf mit Bedeutung und Emotion aufgeladene Szenen, die der Regisseur Fritz Lang mit unbändigem Gestaltungswillen und künstlerischer Sicherheit bei der Bilderfindung in einen reichen Bilderbogen umsetzte.
Das Special von Stummfilm Magazin zum “Nibelungen”-Jubiläum:
♦ Eine Vorstellung des Films von Stummfilm-Magazin-Redakteur Arndt Pawelczik ist hier zu finden.
♦ In einem Text aus dem Jahr 2010 gibt die Filmrestauratorin Anke Wilkening, seinerzeit für die “Nibelungen”-Restaurierung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung zuständig, einen Einblick in die Produktions- und Restaurierungsgeschichte. mehr
Stummfilm Magazin dankt der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung für die Zurverfügungstellung von Bild- und Textmaterial.
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Titel: “Die Nibelungen – Teil 1: Siegfried” und “Die Nibelungen – Teil 2: Kriemhilds Rache”
Regie: Fritz Lang
Drehbuch: Thea von Harbou
Kamera: Carl Hoffmann, Günther Rittau
Darsteller:innen: Paul Richter, Margarete Schön, Hans Adalbert Schlettow, Theodor Loos, Hanna Ralph, Rudolf Klein-Rogge, Bernhard Goetzke, Rudolf Rittner, Gertrud Arnold, Georg John, Hans Carl Müller, Frida Richard
Produktionsfirma: Decla-Bioscop AG (Berlin), im Auftrag der Universum-Film AG Berlin
Produzent: Erich Pommer
Uraufführung: “Die Nibelungen – Teil 1: Siegfried” am 14. Februar 1924 und “Die Nibelungen – Teil 2: Kriemhilds Rache” am 26. April 1924, jeweils im Berliner Ufa-Palast am Zoo
Verfügbarkeit
Der Film liegt in einer aufwändigen Restaurierung (2010) der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung mit der eingespielten Originalmusik von Gottfried Huppertz vor und ist auf DVD/Blu-ray erhältlich. mehr
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Ein Episodenfilm mit herausragenden Schauwerten und Schauspieler:innen
Die Umsetzung von fantastisch-schaurigen Stoffen in Anthologiefilmen zieht sich durch die gesamte Kinogeschichte, von “Unheimliche Geschichten” (D 1919) und “Der müde Tod” (D 1921) über “Dead of Night” (GB 1945) und “Kwaidan” (J 1964) bis in unsere Zeit mit z.B. der „V/H/S“ Reihe (USA ab 2012). Mit “Das Wachsfigurenkabinett” (D 1924) steuerte Paul Leni einen unnachahmlichen Film dazu bei.
Paul Leni war nach einem Studium als Kunstmaler zunächst erfolgreich als Bühnen- und Szenenbildner tätig, bevor er ab 1916 auch Regiearbeiten übernahm. Seine Bauten zeigen in ihrem überschäumenden Einfallsreichtum stets eine ganz eigene, attraktive Handschrift. Das erkannte auch der Boss der Universal, Carl Laemmle, und holte Leni 1926 nach Hollywood, wo er als Regisseur mehrere sowohl künstlerisch wie kommerziell erfolgreiche Filme – wie “The Cat and the Canary” von 1927 und “The Man Who Laughs” von 1928 – drehte, bevor er 1929 an einer Blutvergiftung starb.
Eine Wachsfigurenbude auf einem Jahrmarkt hat zwar schöne Figuren, der Besitzer (John Gottowt) möchte seinem Publikum aber auch gruslige Geschichten über sie erzählen. Er beauftragt einen jungen Schriftsteller (Wilhelm Dieterle), solche Geschichten zu verfassen. Vom ersten Moment an fühlen sich der junge Mann und die Tochter des Budenbetreibers (Olga Belajeff) zueinander hingezogen, und als der Dichter die Nacht zwischen den Wachsfiguren verbringt und schreibt, fließt diese Schwärmerei in seine Texte ein, sodass in den Episoden Dieterle und Belajeff wichtige Rollen spielen.
Die erste Geschichte spielt im alten Bagdad, wo Emil Jannings als Kalif Harun-al-Raschid der jungen Frau (Belajeff) eines Bäckers (Dieterle) nachstellt. In der zweiten Episode sucht Zar Iwan der Schreckliche (Conrad Veidt) die Hochzeit der beiden heim und in der dritten Episode stellt Jack the Ripper (Werner Krauss) dem Paar nach.
Was die Umsetzung des Stoffs in Bilder angeht, sei auf die zeitgenössischen Ausführungen des Kritikers der Lichtbild-Bühne, Dr. Mendel, hingewiesen (Lichtbild-Bühne, Nr. 134, 15.11.1924), der schreibt: „Literarisch schwächeres als das Manuskript Henrik Galeens gibt es kaum noch: Sprunghaft, ohne innere Zusammenhänge, ohne dramatische Steigerung. Also literarisch und dramaturgisch fast wertlos (hier wohl auch einer der Hauptgründe für den lauen Erfolg!). Was aber haben Paul Leni, der "Regisseur", und Leo Birinski, der "Spielleiter", trotz allem daraus zu machen verstanden! […] Das Ganze ist eine Künstlerlaune, ein graziöses und von Geist sprühendes Spiel, in dem das malerische weitaus die Hauptsache ist. Originelleres, als diese bizarren Bauten in Architekturen, die selbst den inhaltlich allerschändlichsten Schmarren noch zu köstlichstem Kunstgenuß machen würden. Hier wird der Stoff mit einer Virtuosität ins filmisch dankbarste Gebiet des Unwirklich-Märchenhaften übertragen auf eine Art, die selbst im "Caligari" und in dem "Schatten" ohnegleichen ist. Wir haben erfolgreichste Filmmärchen gesehen, die alle doch keine "Märchen" waren, eben weil sie diesen naiv-grotesken, zauberisch-phantastischen Stil nicht zu treffen wußten. Hier ist ureigenstes Filmgebiet, hier sollte Leni weiterbauen! Weit leichter hatte es Birinski mit seinen Darstellern, […] Es muß für ihn keine geringere Freude gewesen sein, diese Vollblutmenschen zu lenken, als für uns, sich an ihren Leistungen zu erbauen. Hei, wie gab Jannings da "seinem Affen Zucker", als er diesen urkomischen, derbsinnlichen, ebenso gewalttätigen, wie gutmütigen Harun al Raschid hinstellen durfte! Laß dich küssen, göttlicher Emil – auch wenn du outriert hast (oder weil...?)! Werner Krauß in einem Danse macabre des Grauens als Jack the Ripper eindrucksvollst, trotz aller Kürze seiner Episode. Conrad Veidt überwältigend als der grausame Feigling auf dem Zarenthron, unvergeßlich in der Wahnsinns-Szene.“
Diesen treffenden und wortgewandten Ausführungen gibt es nur noch einen Punkt hinzufügen. Die überbordenden Kulissen Lenis sind zwar unendlich verspielt, aber deswegen doch nicht “l’art pour l’art”. In diesem Film, in dem die Hauptfiguren, grandios überzeichnet, nur ihren Trieben folgen, sind die organischen, krummen und grotesken Kulissen die bildliche Entsprechung dieser Unvernunft. Sie entführen den Zuschauer in eine andere Welt, in der – wenn überhaupt – andere Regeln gelten. Auf diese Weise gelingt es dem “Wachsfigurenkabinett” seine Zuschauer auch mit wenig originellen Geschichten in den Bann zu ziehen.
Autor: Arndt Pawelczik
Credits
Titel: Das Wachsfigurenkabinett
Regie: Paul Leni
Drehbuch: Henrik Galeen
Kamera: Helmar Lerski
Darsteller:innen: Emil Jannings, Conrad Veidt, Werner Krauß, Wilhelm Dieterle Dichter, Olga Belajeff, John Gottowt, Paul Biensfeldt, Ernst Legal, Georg John
Produktionsfirma: Neptun-Film AG Berlin
Produktionsleitung: Alexander Kwartiroff
Uraufführung: 06. Oktober 1924 in Wien, deutsche Erstaufführung am 13. November 1924 in Berlin
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Ein Seelchen zwischen zwei Könnern
Nju (Elisabeth Bergner) ist verheiratet, hat ein Kind und lebt in relativem Luxus. Doch Nju ist nicht glücklich. Ihr übergewichtiger bürgerlicher Ehemann (Emil Jannings) nimmt sie als selbstverständlich hin, obwohl er ihr einst versprochen hatte, sie für immer zu lieben und zu verehren. Als sie einen gut aussehenden Schriftsteller (Conrad Veidt) kennenlernt, ist Nju hin und weg. Als ihr Mann von ihrer gegenseitigen Anziehung erfährt, hat er einen Eifersuchtsanfall und versucht, seinen Rivalen zu erschießen. Nun verlässt Nju ihn und zieht zu ihrem Liebhaber.
Im Jahr 1924 war Elisabeth Bergner der gefeierte Star der Berliner Max Reinhardt Bühnen, nachdem sie bereits in Zürich, München und Wien das Publikum mit ihrer ebenso idiosynkratischen wie magnetischen Bühnenpräsenz begeistert hatte. Die Verbindung ihrer kleinen und knabenhaften Gestalt mit hoch expressivem Spiel ließ sie in den unterschiedlichsten Rollen glänzen. Da war es kein Wunder, dass der junge Regisseur Paul Czinner sie in der Haupt- und Titelrolle seines Films “Nju” besetzte.
Der Film wurde ein Erfolg. Der Kritiker Arthur Eloesser schrieb: “Zwischen zwei Könnerschaften und Sicherheiten (gemeint sind Jannings und Veidt) war sie das Erlebnis, ein Seelchen, ein Flämmchen, aufflackernd und verlöschend wie vor dem ersten Windstoß. Sie ist ein Wunder, ein Bitten, ein Flehen”. Elisabeth Bergner wusste sich hier also zwischen zwei etablierten Titanen der Bühne und des Films zu behaupten: Emil Jannings und Conrad Veidt. Dass ihr das gelingt und dass sie “Nju” trotz dieser Konkurrenz zu einem Elisabeth Bergner Film macht, zeugt von ihrer schauspielerischen Qualität und ihrem Selbstvertrauen. Darin liegt die Stärke aber auch die potentielle Schwäche des Films. Denn wenn die Reize der Hauptdarstellerin bei Zuschauer:innen nicht verfangen sollten, funktioniert die Prämisse von “Nju” nicht, nämlich dass hier einer einzigartig attraktiven Frau alle Männer verfallen müssen, auch gestandene Kerle wie Jannings und Veidt.
Paul Czinner und Elisabeth Bergner heirateten und er blieb ihr Filmregisseur, durchaus zum Verdruss der Filmkritik, die fanden, er enge ihre Möglichkeiten zu sehr ein. Aber gemeinsam wechselte das Paar vom Stumm- zum Tonfilm und emigrierte 1933 nach Großbritannien und später in die USA.
“Nju” ist in erster Linie ein Film für Fans von Elisabeth Bergner und solche, die es werden wollen. Wenn man den Reizen dieser einzigartigen Schauspielerin gegenüber empfänglich ist, funktioniert er. Sonst gibt es aber natürlich auch noch die soliden Charakterstudien von Jannings und Veidt, die hier routinierte Leistungen ablegen
Autor: Arndt Pawelczik
Credits
Titel: Nju
Regie: Paul Czinner
Drehbuch: Paul Czinner (Vorlage von Ossip Dymow)
Kamera: Axel Graatkjær Reimar Kuntze
Darsteller:innen: Elisabeth Bergner, Emil Jannings, Conrad Veidt, Nils Edwall, Maria Bard, Margarete Kupfer, Grete Lundt, Karl Platen, Aenne Röttgen, Maria Forescu, Max Kronert
Produktionsfirma: Rimax-Film A.G.
Produzent: Hans Wollenberg
Uraufführung: 22. November 1924 im Alhambra Berlin
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Streamingtipp
Film anschauen im Digitalen Lesesaal des Bundesarchivs
Neue bildgestalterische Pfade
Als 1929 in Los Angeles zum ersten Mal die Academy Awards verliehen wurden, ging der Preis für den besten Hauptdarsteller an Emil Jannings, für seine Rollen in “The Last Command” (USA 1928) und “The Way of All Flesh” (USA 1927). Als beste Hauptdarstellerin wurde Janet Gaynor ausgezeichnet, unter anderem für den Film “Sunrise” (1927) des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau. Die beiden Deutschen Jannings und Murnau waren auf dem Höhepunkt ihres Hollywood-Karrieren und es war vor allem der Erfolg des Films “Der letzte Mann”, der ihnen den Weg von Berlin nach Los Angeles bereitet hatte.
“Der letzte Mann” erzählt eine einfache Geschichte. Als Hotelportier in einem mondänen Hotel in einer großen Stadt ist Jannings der ‘erste Mann’ im Haus und liebt seine Stellung. Am Eingang empfängt er die Gäste stolz in seiner prächtigen Uniform und trägt ihre Koffer. Nach getaner Arbeit kehrt er heim in sein erbärmliches Wohnquartier, wo er sich in der Uniform bewundern lässt wie ein Viersternegeneral. Aber er wird allmählich zu alt für die körperlich anstrengende Arbeit an der Eingangstür. Das bemerkt auch die Leitung des Hauses und versetzt den Portier auf die Stelle des “letzten Mannes”. Jannings muss nun in der Herrentoilette Handtuch und Seife verwalten und den Gästen mit der Kleiderbürste zur Verfügung stehen. Das trifft ihn hart, zumal es auch den Verlust der geliebten Uniform bedeutet. Um bloß nicht das Gesicht zu verlieren, zumal die Hochzeit seiner Nichte (Maly Delschaft) ansteht, leiht sich der ‘letzte Mann’ abends heimlich die alte Uniform aus und geht in ihr wie gewohnt heim. Auf der Hochzeitsfeier kann er sich so noch einmal im Glanz seiner alten Stellung präsentieren. Aber sein Abstieg bleibt nicht lange unentdeckt.
Was den “letzten Mann” so besonders macht und was wohl auch für den großen internationalen Erfolg dieses Films gesorgt hat, ist die Sorgfalt, mit der die einfache Geschichte erzählt wird. Eine glückliche Fügung hat hier außergewöhnlich talentierten Künstlern die Gelegenheit gegeben einen Film zu drehen, der ebenso unterhaltsam wie anspruchsvoll ist. Emil Jannings ist die ideale Besetzung für die Rolle des Portiers, obwohl er zwanzig Jahre zu jung dafür war und an jedem Drehtag aufwendig in der Maske auf alt getrimmt werden musste. Jannings große Stärke als Schauspieler liegt darin, die Zuschauer:innen die tragische Diskrepanz zwischen äußerem Anschein und innerem Zustand einer Figur empathisch mitfühlen zu lassen. Der unverschuldete Abstieg des Portiers, den der einfache Mann nicht verstehen und nicht ertragen kann, bietet dem Schauspieler ausgiebige Gelegenheit kamerawirksam im Leid zu schwelgen.
In Szene gesetzt wird diese hohe Schauspielkunst von der intelligenten Regie Friedrich Wilhelm Murnaus, der sich von filmischen Konventionen frei macht und mit der "entfesselten Kamera“ von Karl Freund in den eindrucksvollen Kulissen von Robert Herlth und Walter Röhrig ganz neue bildgestalterische Pfade betritt, die das Publikum die Handlung und die Gefühlszustände des Portiers miterleben lassen. So kann der Film auch auf Zwischentitel verzichten. Lediglich der nicht unkontrovers angefügte Schluss wird durch einen Erklärtitel eingeführt.
Selten zeigte sich die amerikanischen Fachzeitschrift Variety von einem deutschen Film so begeistert wie von “Der letzte Mann”. Sonst europäischen Filmen mit künstlerischem Anspruch gegenüber eher skeptisch eingestellt, hebt der Kritiker 'Fred' im Dezember 1924 vor allem diese Qualitäten lobend hervor und spekuliert, welche Möglichkeiten der Regisseur erst mit den Mitteln eines amerikanischen Studios hätte.
Murnaus Arbeit in Hollywood, wo er ab 1926 für die Fox arbeitete und mit dem schon erwähnten Film “Sunrise” einen zeitlosen Klassiker drehte, bestätigte diese Vorhersage zunächst. Später kam es jedoch zu Spannungen zwischen Regisseur und Studio im schwierigen Umfeld der Einführung des Tonfilms. 1931 starb Murnau bei einem Autounfall.
Auch Emil Jannings ging nach Hollywood, wo er für die Paramount arbeitete. Nach einigen erfolgreichen Filmen ließ ihm das Aufkommen des Tonfilms aber keine andere Möglichkeit, als nach Deutschland zurückzukehren. Seinen Academy Award konnte er 1929 schon nicht mehr selbst entgegennehmen.
Autor: Arndt Pawelczik
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Titel: Der letzte Mann
Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
Drehbuch: Carl Mayer
Kamera: Karl Freund
Darsteller:innen: Emil Jannings, Maly Delschaft, Max Hiller, Emilie Kurz, Hans Unterkircher, Georg John, Hermann Vallentin, Olaf Storm, Emmy Wyda
Produktionsfirma: Union-Film der Ufa Berlin
Produzent: Erich Pommer
Uraufführung: 23. Dezember 1924 im Berliner Ufa-Palast am Zoo
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