Jubiläumsfilme des Aufführungsjahres 1921

Die erste deutsche parlamentarische Demokratie von 1918 bis 1933 bildete den gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Rahmen für eine der interessantesten Perioden der internationalen Filmgeschichte.

Stummfilme wie Robert Wienes expressionistischer Horrorfilm "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920), Friedrich Wilhelm Murnaus Vampirgeschichte "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens" (1922) und Fritz Langs Science-Fiction-Monumentalfilm "Metropolis" (1927) entstanden in dieser Zeit, sind vielzitierte Meilensteine der Filmgeschichte und ziehen auch heute noch ein weltweites Publikum in ihren Bann.

Die Initiative "100 Jahre Stummfilm-Klassiker der Weimarer Republik" stellt jedes Jahr eine Auswahl an Filmen vor, die dann ihr hundertjähriges Veröffentlichungsjubiläum feiern. Die Zusammenstellung orientiert sich an der filmhistorischen Bedeutung der Werke, also an inhaltichen, technischen und gestalterischen Kriterien. Auch wurde die Rezeptionsgeschichte berücksichtigt. Die Zuordnung der Film an das jeweilige Jahr richtet sich, soweit möglich, nach den Uraufführungsterminen.

♦ "Der Gang in die Nacht", Regie: Friedrich Wilhelm Murnau, Uraufführung am 21.01.1921 in Berlin
♦ "Hamlet", Regie: Sven Gade & Heinz Schall, Uraufführung am 04.02.1921 in Berlin
♦ "Schloß Vogelöd", Regie: Friedrich Wilhelm Murnau, Uraufführung am 07.04.1921 in Berlin
♦ "Die Bergkatze", Regie: Ernst Lubitsch, Uraufführung am 12.04.1921 in Berlin
♦ "Lichtspiel opus 1", Regie: Walter Ruttmann, Uraufführung: 27.04.1921 in Berlin
♦ "Danton", Regie: Dimitri Buchowetzki, Uraufführung am 01.05.1921 in Berlin
♦ "Scherben", Regie: Lupu Pick, Uraufführung am 27.05.1921 in Berlin
♦ "Der müde Tod", Regie: Fritz Lang, Uraufführung am 06.10.1921 in Berlin
♦ "Das indische Grabmal", Regie: Joe May, Uraufführung am 22.10.1921 in Berlin
♦ "Hintertreppe", Regie: Leopold Jessner, Paul Leni, Uraufführung am 11.12.1921 in Berlin

Stummfilm Magazin wünscht eine unterhaltsame und informative Reise in die Frühzeit des Kinos!

Filmkanon für das Aufführungsjahr 1921

Murnaus spätere Meisterschaft blitzt bereits auf

Wenige Namen im deutschen Stummfilm sind so bekannt wie der von Friedrich Wilhelm Murnau. Der internationale Erfolg seiner deutschen Filme wie "Nosferatu - eine Symphonie des Grauens“ (1922) und "Der letzte Mann" (1924) hatte dem gebürtigen Bielefelder zu einem Vertrag bei der Fox in Hollywood verholfen, wo er mit "Sunrise" (1927) einen Film drehte, der seitdem einen festen Platz auf den ewigen Bestenlisten vieler Filmkritiker einnimmt. Leider ist von Murnaus deutschem Frühwerk wenig erhalten. Von den ersten sechs Filmen des Regisseurs existiert keine bekannte Kopie und so bietet "Der Gang in die Nacht" (1921) die erste Gelegenheit, die Arbeit eines der großen Namen der Filmgeschichte in Augenschein zu nehmen.

"Der Gang in die Nacht" ist ein Melodrama. Der bekannte Augenarzt Eigil Boerne (Olaf Fönss) steht kurz vor der Eheschließung mit seiner Jugendliebe Helene (Erna Morena), als sich die Tänzerin Lily (Gudrun Bruun-Steffensen) Hals über Kopf in ihn verliebt, ihn trickreich umgarnt und ihn schließlich seiner Verlobten wegschnappt. Mit Helene geht es daraufhin körperlich und seelisch bergab. Boerne hingegen gibt seine Praxis in der Großstadt auf und zieht mit Lily in ein Haus am Meer, wo er nun als Landarzt tätig ist. Beide sind hier glücklich, aber dann taucht ein erblindeter Kunstmaler (Conrad Veidt) auf, der verzweifelt die Hilfe Boernes sucht. Dieser schenkt ihm tatsächlich das Augenlicht wieder, aber in der Zwischenzeit sind der Maler und Lily einander in tiefer Leidenschaft verfallen. Verbittert verlässt Boerne Lily und nimmt seine Tätigkeit als Augenarzt in der Stadt wieder auf. Als der Maler erneut erblindet, wendet sich Lily verzweifelt an Boerne. Dieser erklärt ihr voller Zorn, er werde den Maler nur dann heilen, wenn Lily sich umbringe. Das tut Lily dann zwar auch, nun will der Maler aber sein Augenlicht nicht mehr zurück, da er seine Geliebte doch nicht mehr sehen könne.

Murnaus "Gang in die Nacht" steht zwischen den Filmkonventionen der 10er und 20erJahre. In den 10er Jahren waren die leading men oft älter und kräftig gebaut wie der Däne Olaf Fönss und die leading ladies waren gern schwindsüchtig zerbrechlich wie Erna Morena. Beide waren große Stars des deutschen Films der Zeit und zeigen eine gegenüber späteren oder gar heutigen Konventionen ungewohnt histrionische Mimik und Gestik. Der Histrionik nie abgeneigt war auch Conrad Veidt, der bereits in den 10er Jahren in vielen Filmen, nicht zuletzt unter der Regie von F.W. Murnau, zum Einsatz kam. Allerdings gelang Veidt ein erfolgreicherer Übergang in die 20er Jahre, vielleicht weil seine Spielweise besser mit den verstärkt eingesetzten Großaufnahmen harmonierte. Veidt konnte mit einem Anschwellen seiner Stirnvene mehr ausdrücken als andere Mimen mit vollem Körpereinsatz.

Auch dass das Drehbuch dänischen Ursprungs ist, weist in die 10er Jahre zurück, als Dänemark eine der führenden Filmnationen der Welt war und dänische Schauspieler*innen wie Olaf Fönss, Asta Nielsen und Valdemar Psilander sich großer internationaler Bekanntheit erfreuten.

Die moderneren Elemen in "Der Gang in die Nacht" sind vor allem in der Kameraarbeit, der Lichtregie und im Schnitt zu finden. Hier zeigt sich Murnau bereits als Meister, wenn er zum Beispiel die Verzweiflung des Augenarztes ob der Untreue seiner Gattin durch Bilder des aufgewühlten Meeres illustriert oder uns den Kampf um die Sehkraft des Malers durch Helldunkeleffekte miterleben lässt. Im Keim ist in "Der Gang in die Nacht" schon viel von der späteren Virtuosität Murnaus zu finden, die kolportagehafte Handlung und das wenig subtile Spiel der Akteure können den Blick darauf aber auch verstellen.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Der Gang in die Nacht
Regie: Friedrich Wilhelm Murnau 
Drehbuch: Carl Mayer, nach einer Vorlage von Harriet Bloch 
Kamera: Carl Hoffmann
Darsteller: Olaf Fønss, Erna Morena: Helene Conrad Veidt, Gudrun Bruun Stephensen, Clementine Plessner 
Produktionsfirma: Goron Films Berlin 
Produzent: Sascha Goron
Uraufführung: 21.01.1921, Kino Schauburg in Berlin

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Crossdressing mit Asta Nielsen

Dass sich der Stummfilm schwertat mit der Umsetzung klassischer Werke der Sprechbühne ist leicht nachzuvollziehen. Es war dem Publikum nicht zuzumuten die Dialoge – von denen diese Dramen nun einmal leben – komplett oder selbst in deutlich gekürzter Form als Zwischentitel zu lesen. Außerdem wäre dadurch der Fluß der Bilder zu oft unterbrochen worden.

Es gab aber viele Gründe, warum der Stummfilm sich dennoch gern dieser klassischen Stoffe annahm. Die bekannten Stücke großer Autoren zogen durchaus Publikum an, zumal in der Bühneneinöde der Provinz, und ermöglichten es den Studios, auch bekannte Bühnenschauspieler vor die Kamera zu locken. Zudem kämpfte der Film der 20er Jahre noch um seine Anerkennung als ernstzunehmende Kunstform und versuchte sich mit der Umsetzung der großen Werke einen gleichrangigen Platz neben der Sprechbühne zu erobern.

Ihrer Worte größtenteils beraubt, wurden die Klassiker im Film auf ihre Handlung reduziert. Hierzu eigneten sich besonders actionreiche Stoffe wie zum Beispiel "Hamlet". Dass Shakespeares Überklassiker verfilmt wurde, muss also nicht verwundern. Wie er verfilmt wurde sagt hingegen viel aus über die dominante Stellung Asta Nielsens in der deutschen Filmwirtschaft zu Beginn der 20er Jahre, denn Asta Nielsen darf hier selbst die Rolle des Hamlet übernehmen. Und zwar tut sie das nicht auf die eher verschämte Weise ihrer Vorgängerin Sarah Bernhardt, sondern offensiv als weiblicher Hamlet.

Ein kurzer Prolog verweist auf einen obskuren amerikanischen Literaturwissenschaftler, der angeblich herausgefunden hatte, dass Shakespeares Drama nur so Sinn ergibt: "Hamlet war ein Weib!" Und nun kann das wohlbekannte Theaterstück mit Frau Nielsen in der Hauptrolle und ansonsten minimalen Änderungen ablaufen – das Mädchen musste ein Junge sein, um die Thronfolge zu sichern und Hamlets Liebe zu Horatio geht über reine Männerfreundschaft hinaus - das war es dann auch schon.

"Hamlet" ist ein unterhaltsamer Film mit schönen Bauten, gut aufgelegten Schauspielern und dem unverwüstlichen Shakespeare’schen Stoff als Grundlage. Manchmal drängt sich dem Betrachter zwar der Eindruck auf, dass es sich hier um ein vanity project von Asta Nielsen handelt, ähnlich wie wesentlich später bei Barbra Streisands "Yentl". Aber es macht Spaß Frau Nielsen bei diesem vanity project zuzusehen. Und mal ganz ehrlich – wer wenn nicht Shakespeare hätte an diesem genderbending seinen Spaß gehabt. Nicht nur, dass er wie in "Twelfth Night" gern selbst mit Geschlechterrollen jongliert, auf der Bühne seiner Zeit waren Frauen bekannterweise nicht geduldet und alle weiblichen Rollen mussten mit Knaben und Männern besetzt werden.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Hamlet
Regie: Svend Gade, Heinz Schall
Drehbuch: Erwin Gepard
Kamera: Curt Courant Axel Graatkjær
Ausstattung: Siegfried Wroblewsky, Svend Gade, Hugo Baruch, Leopold Verch
Darsteller: Asta Nielsen, Paul Conradi, Mathilde Brandt, Eduard von Winterstein, Heinz Stieda, Hans Junkermann, Anton de Verdier, Lily Jacobsson, Fritz Achterberg 
Produktionsfirma: Art-Film GmbH, Berlin
Produzentin: Asta Nielsen
Uraufführung: 04. Februar 1921, Mozartsaal, Berlin

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Verstohlene Einblicke in die geheimnisvolle Welt der edlen Damen und Herren

In den letzten Jahren sind viele bekannte deutsche Stummfilme neu restauriert worden und liegen heute in Versionen vor, die der Uraufführungskopie in Vollständigkeit und Bildqualität zumindest nahe kommen. Das trifft auch auf "Schloss Vogelöd" zu. Jahrzehntelang war F.W. Murnaus zehnter Film nur in verwaschenen, kontrastarmen Kopien zu sehen gewesen, was eine kritische Einordnung erschwerte. In der restaurierten Fassung kommen die Qualitäten des Films endlich besser zur Geltung.

"Schloss Vogelöd" ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht von schlechten Eltern. Immerhin kam das Drehbuch von Carl Mayer, F.W. Murnau zeichnete für die Regie verantwortlich, Fritz Arno Wagner führte die Kamera und die Bauten stammten von Hermann Warm und Robert Herlth. Es ist ein sorgfältig gedrehter und geschnittener Film mit sehr ansehnlichen schauspielerischen Leistungen. Wenn er dennoch heute im Schatten vieler anderer Filme der Zeit steht, so liegt das an seinem Sujet.

Es fällt uns heute schwer, die Faszination des Publikums der 20er Jahre mit der Welt des Adels nachzuvollziehen. Mit der Gründung der Weimarer Republik war der Adel eigentlich abgeschafft, auf der Kinoleinwand feierte er hingegen weiter fröhliche Urstände. Grafen, Fürsten und Barone waren die Protagonisten in gefühlt jedem zweiten Film und erlaubten den Kinobesuchern verstohlene Einblicke in die geheimnisvolle Welt der edlen Damen und Herren.

Nichts anderes tut "Schloss Vogelöd". Wir dürfen einer adligen Jagdgesellschaft auf einem Landhaus zusehen. Anders als in Jean Renoirs Meisterwerk "La règle du jeu" von 1939 erfolgt hier aber keine kritische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität, vielmehr muss eine recht dünne Schuld-und-Sühne Handlung herhalten, um dem Publikum 80 Minuten lang den Schauwert der Bauten und Kostüme zu liefern und es miterleben zu lassen, wie blaues Blut in Wallung gerät.

Zur Jagd auf Schloss Vogelöd sind viele illustre Gäste eingeladen, nicht aber Graf Oetsch, der im Verdacht steht, vier Jahre zuvor seinen Bruder um des Erbes willen ermordet zu haben. Als der Graf trotzdem erscheint, will die Witwe des Bruders sofort abreisen, bleibt aber noch, da sich ein Verwandter ihres Gatten, der Mönch Pater Faramund aus Rom, angekündigt hat. Graf Oetsch sieht sich derweil Anfeindungen ausgesetzt. Schließlich kann mit Hilfe des Mönches das Rätsel um den Mord gelöst werden.

Beim Betrachten des Films hat man mitunter den Eindruck, dass die Handlung sowohl dem Drehbuchautor Carl Mayer, der einen Zeitungsroman umsetzte, als auch dem Regisseur F.W. Murnau zu dürftig war. So sind in „Schloss Vogelöd“ einige komische Vignetten eingebaut, auf die Besprechungen des Films unweigerlich Bezug nehmen. Ein Küchenjunge bekommt fürs Naschen Ohrfeigen und träumt davon schlecht, ebenso wie Julius Falkenstein in der Rolle des "ängstlichen Gastes".

Die wahren Stärken des Films liegen aber in der Meisterschaft, mit der die eindrucksvollen Bauten durch Kamera und Regie in Szene gesetzt werden. Und hier ist es vor allem der neuen Restauration zu danken, dass die Tiefenwirkung der Bilder zur Geltung kommt. "Schloss Vogelöd" ist ein visuell starker und attraktiver Film, nicht nur in der einen, von der Filmkritik immer wieder gelobten Einstellung, die in Carl Mayers Drehbuch idiosynkratisch so beschrieben ist:

"Ein ganz tiefer hoher Saal. Nachmittags.
Gesamter: Antik. Karg. Möbel kaum. Nur Wände!
Und! die Baronin. Gepreßt an eine Wand.
Entsetzen erstarrt. Sich verschließend 
einem Ruf. So steht sie da. 
Keuchend furchtbar. Und der Baron! ​ 
Weitstehend vor ihr. Gepreßt an die andere 
Wand. Sein Antlitz namenlos empor. So 
steht auch er. Reglos."

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Schloß Vogelöd
Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
Drehbuch:Carl Mayer
Kamera: Fritz Arno Wagner, László Schäffer
Darsteller: Arnold Korff, Lulu Kyser-Korff, Lothar Mehnert, Paul Hartmann, Paul Bildt, Olga Tschechowa, Victor Blütner, Hermann Vallentin, Julius Falkenstein, Robert Leffler, Loni Nest, Walter Kurt-Kuhle, Georg Zawatzky
Produktionsfirma: Uco-Film GmbH, Berlin
Produzent: Erich Pommer 
Uraufführung: 07. April 1921, Marmorhaus, Berlin

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Pola Negri stellt die Berge auf den Kopf

Der Festungskommandant (Victor Janson) einer Grenzstation des Landes Unweitpiffkaneiro hätte eigentlich schon genug mit der Räuberbande des gesetzlosen Claudius zu tun, da wird auch noch der notorische Herzensbrecher Leutnant Alexis (Paul Heidemann) zu seiner Truppe versetzt. Aber immerhin wäre er doch ein geeigneter Ehemann für die ebenfalls in der Festung residierende Kommandantentochter (Edith Meller), und so wird sofort die Hochzeit geplant. Dummerweise hat "der fesche Alex" auf der Anreise bereits Bekanntschaft mit der Räubertochter Rischka (Pola Negri) gemacht, als diese ihn nämlich bis auf die Unterhose ausraubte. Rischka mag nun ihren Räubergatten (Hermann Thimig) gar nicht mehr und plant stattdessen die Hochzeit zu sabotieren. Die Räuber dringen in die Festung ein und feiern erst einmal kräftig mit, bevor Rischka Mitleid mit der Kommandantentochter bekommt und zu ihrem eigenen Ehemann zurückkehrt.

Wenn man "Die Bergkatze" heute sieht, hat man den Eindruck, dass Ernst Lubitsch nach dem großen nationalen und internationalen Erfolg seiner Filme wie "Carmen" und "Madame Dubarry" völlige gestalterische Freiheit hatte. "Die Bergkatze" bricht fröhlich mit allen Konventionen des Erzählfilms und nutzt stattdessen Elemente der Operette und des Bühnenkabaretts, vor allem die hemmungslose Überzeichnung.

Alles in Unweitpiffkaneiro (!) ist grotesk. Die Kulissen sind bühnenhaft stilisiert, dabei aber unglaublich aufwändig. Meist wird im Kino Geld in die Hand genommen, um eine möglichst perfekte Illusion von Realität zu erzeugen. Für "Die Bergkatze" ist viel investiert worden, um eine unmissverständliche Persiflage der Realität abzubilden. Aus jeder Ritze der Bergfestung ragt ein Kanonenrohr, während im Inneren Waffenornamentik in zuckerbäckerischem Art Déco-Stil jeden Raum dominiert.

Die Gegenwelt der Räuber besteht ganz aus zottigem Fell, übersät mit grimmigen Totenköpfen. Dabei benehmen sich die Räuber durchgehend wie Dreijährige, heulen beim kleinsten Anlass und bringen so selbst den Tiefschnee zum Schmelzen. Als wäre das noch nicht genug, verwendet Lubitsch das 1921 bereits veraltete Stilmittel der Blende hier geradezu inflationär um Szenen auf unterschiedliche Weise einzurahmen. Analog dazu kommentieren die Zwischentitel die Handlung oft ironisierend.

"Die Bergkatze" ist also kein Film zum Mitfiebern, vielmehr ist es eine Show in der Art, wie sie später in Filmen der Marx Brothers, des frühen Woody Allen und von Mel Brooks ein Publikum fand. Die zeitgenössische Kritik war durchaus uneins darüber, ob der Film gelungen sei. Fritz Podehl findet ihn „weder besonders eigenartig noch besonders lustig“ (Der Film, 16.4.1921), während der Kritiker der Lichtbildbühne meint: „Es steckt so viel wirkliche Komik, so viel grotesker Humor in neuartiger Form in diesem Film, wie in keinem andern deutschen Produkt.“ (Lichtbild-Bühne, 16.4.1921).

Bemerkenswert ist auch das Urteil von Willy Haas aus dem Film-Kurier vom 13.04.1921: "Eigentlich paradox über so was zu schreiben. Man kann danach soupieren oder Abendbrot essen. Man kann Sekt in einer Diele trinken oder Schnaps in einer Kutscherkneipe. Man kann aufbleiben und Witze erzählen. Oder man kann nach Hause gehen und sich zu Bette legen. Aber danach Gedanken zu äußern, ist an sich stillos. Denn wenn dieser Film überhaupt einen Wert hat, einen ganz unbezweifelbaren, so ist es der, daß er einen von Gedanken befreit, nicht, daß er sie gibt: daß er zerstreut: nicht, daß er anregt."

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Die Bergkatze
Regie: Ernst Lubitsch
Drehbuch: Hanns Kräly Ernst Lubitsch
Kamera: Theodor Sparkuhl
Ausstattung: Ernst Stern, Max Gronau.
Darsteller: Pola Negri, Paul Heidemann, Victor Janson, Marga Köhler, Edith Meller, Wilhelm Diegelmann, Hermann Thimig, Paul Biensfeldt, Paul Graetz, Max Kronert, Erwin Kopp 
Produktionsfirma: PAGU - Projektions-AG „Union“
Produzent: Paul Davidson
Uraufführung: 12. April 1921, Ufa-Palast am Zoo, Berlin

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Videodokumentation des Vortrags “Lecture & Film: Ernst Lubitsch – Die Bergkatze”

Ein avantgardistischer Klassiker

Walter Ruttmann, geboren am 28. Dezember 1887 in Frankfurt am Main, ist heute vor allem wegen seiner Filmhymne "Berlin. Die Sinfonie der Großstadt" (D 1927) bekannt. Das visuell betörende und meisterhaft montierte Stadtportrait gilt als sein Hauptwerk, gehört zum Repertoire vieler Stummfilmmusiker*innen weltweit und ist nach wie vor ein Publikumsmagnet bei Filmkonzerten.

Sechs Jahre zuvor schrieb Ruttman mit dem zehnminütigen Experimentalfilm "Lichtspiel Opus I" (D 1921) bereits Filmgeschichte. Hier zeigte er sich, wie später noch öfters, als ein Medienkünstler am Puls der Zeit. Das erste abstrakte deutsche Kinowerk besteht aus 10.000 handkolorierten Einzelbildern und lässt Formen und Flächen miteinander rhythmisch choreografiert korrespondieren. Der Animationsfilm, von 1919 bis 1921 in mehreren Überarbeitungsphasen an einem selbst konstruierten Tricktisch entstanden, gleicht einem psychedelischen Wachtraum: Nichtgegenständliche, zweidimensionale Objekte tanzen über die Leinwand, scheinbar von unsichtbarer Hand in ihren Bewegungen aufeinander abgestimmt.

"Lichtspiel Opus 1" wurde im Berliner "Marmorhaus" uraufgeführt. Der deutsche Komponist Max Butting (1888–1976) schrieb die Musik zum Film. In den Jahren 1921, 1924 und 1925 folgen mit "Lichtspiel Opus 2 – 4" drei "Fortsetzungen", die die Möglichkeiten des abstrakten Film weiter ausloteten. So durchzieht das Streben nach Unkonventionellem und Innovativem den künstlerischen Werdegang von Walter Ruttmann:

Er war in der Dada-Bewegung aktiv, beteiligte sich an Lotte Reinigers meisterhaften Scherenschnittfilm "Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ (D 1926) und kreierte außergewöhnliche Reklamefilme für den Werbefilmpionier Julius Pinschewer. 1928 dreht er dann den ersten deutschen Tonfilm anlässlich der Großen Deutschen Funkausstellung in Berlin und beeinflusste mit seiner Tonmontage „Weekend“ (D 1930) die Hörspielgeschichte.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war er als Regisseur bei der Ufa tätig und drehte dort Kultur-, Werbe-, und Propagandafilme. Seine von Nationalstolz durchtränkten Industriefilme "Metall des Himmels" (D 1935) und "Mannesmann" (D 1937) wurden bei mehreren Festspielen im Ausland ausgezeichnet. Seine letzten filmischen Zeugnisse sind die NS-Propagandastreifen "Deutsche Waffenschmieden" und "Deutsche Panzer", beide aus dem Jahr 1940. Walter Ruttmann starb 1941 in Berlin nach einer Operation.

"Lichtspiel Opus 1" ist zusammen mit „Lichtspiel Opus 2 – 4“ und anderen Werken von Walter Ruttmann als Bonusmaterial auf der DVD „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt & Melodie der Welt“ enthalten (Edition Filmmuseum).

Autor: Frank Hoyer

Credits
Titel: Lichtspiel Opus 1
Regie: Walter Ruttmann
Schnitt: Walter Ruttmann
Musik: Max Butting
Produktionsfirma: Ruttmann-Film GmbH, München
Produzent: Walter Ruttmann
Uraufführung: 27. April 1921, Marmorhaus, Berlin

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Zwei menschliche Extreme prallen aufeinander

Im vierten Revolutionsjahr regiert in Paris der Wohlfahrtsausschuss des Nationalkonvents. Unter der Führung Robespierres ist Terror das vorherrschende Herrschaftsinstrument und die Guillotine zum Symbol der Revolution geworden. Dem stellt sich Danton volkstribunenhaft entgegen. Er kann sich aber gegen die Intrigen seines Widersachers nicht durchsetzen und endet schließlich selbst auf dem Schafott.

"Danton" war nach "Madame Dubarry" von 1919 der zweite große deutsche Film über die französische Revolution. Das Sujet lag wohl in der Berliner Luft, aus der sich die Pulverschwaden der Novemberrevolution von 1918 noch nicht ganz verzogen hatten. Während Lubitschs Film vor allem durch den Realismus der Straßenszenen und die Choreographie der Massen beeindruckt, orientiert sich der junge russische Regisseur Dimitri Buchowetzki offensichtlich stärker am Theater, insbesondere an Max Reinhardts Inszenierung von "Dantons Tod" aus dem Jahre 1916. Nicht, dass in "Danton" nicht ebenfalls große Mengen von Statisten unterwegs wären, sie bewegen sich aber in einer deutlich stilisierten Umgebung, die nicht um Realismus bemüht ist, sondern dem Geschehen symbolmächtige Bühne sein will.

Auf dieser Bühne lässt Buchowetzki mit Emil Jannings als Danton und Werner Krauss als Robespierre zwei menschliche Extreme aufeinander prallen. Krauss, statuenhaft unbeweglich, zugeknöpft, weiß geschminkt, gibt den unmenschlichen Prinzipienreiter, den Buchhalter des Todes. Jannings hingegen darf wieder einmal der lebensstrotzende Vollmensch sein, dem alle Sympathien zufliegen. Die Konfrontation der Extreme kulminiert in der Szene vor dem Revolutionstribunal, wo es Danton beinahe gelingt, die Massen auf seine Seite zu ziehen, bevor Robespierre mit einem intriganten Schachzug das Todesurteil gegen den Widersacher dennoch durchsetzt.

In einer amüsanten Nebenhandlung folgen wir dem Mädchen Babette (Hilde Wörner), das mithilfe eines Aristokraten einen rasanten gesellschaftlichen Aufstieg von der Bettlerin zur feinen Dame macht, nach der Verhaftung ihres Galans aber ebenso schnell wieder auf die Straße zurückkehrt. Erstaunlicherweise erträgt Babette letzteres mit Gleichmut, denn nun kann sie zwar keine Schokolade mehr trinken, aber dafür muss sie sich nun auch nicht mehr waschen und Korsetts tragen.

Willy Haas kam in seiner Kritik im Film-Kurier zu ganz eigenen Überlegungen über den Wert von Historienfilmen: "[...] so mußte ich mit mancherlei Wehmut an meine tödlichen Geschichtsstunden im Gymnasium denken, in denen ich nicht, aber um keinen Preis, Danton von Mirabeau unterscheiden konnte, und Robespierre von Saint Just, und Baboeuf von Desmoulins. Alle drei kochten wie Kartoffelbrei in unseren armen Schädeln. Man sah sie eben nicht in dem blöden Geschichtslehrbuch, [...] Hier sieht man sie vor sich – irgendwie. Ob ganz richtig? Wer kann das entscheiden. Aber man sieht sie irgendwie, man sieht sie scharf, umrissen, deutlich, nicht zu verwechseln."

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Danton
Regie: Dimitri Buchowetzki
Drehbuch: Carl Mayer Dimitri Buchowetzki
Kamera: Arpad Viragh
Ausstattung: Hans Dreier entworfen. 
Darsteller: Emil Jannings, Werner Krauß, Eduard von Winterstein, Ferdinand von Alten, Robert Scholz, Hugo Döblin, Ossip Runitsch, Friedrich Kühne, Hilde Wörner, Charlotte Ander, Maly Delschaft, Albert Florath, Conradt Veidt, Fritz Kortner
Produktionsfirma: Wörner-Film, Berlin
Uraufführung: 01. Mai 1921, Ufa-Palast am Zoo, Berlin

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Kargheit und Trostlosigkeit im winterlichen Nirgendwo

Max Reinhardt, Berliner Theaterzar und Gründer der Salzburger Festspiele, war vor allem bekannt für aufwendige, illusionistische Inszenierungen auf großer Bühne. Mit der Gründung der Kammerspiele als zweitem Spielort am deutschen Theater in Berlin hatte er 1905 aber auch eine ganz andere Spielform ins Leben gerufen: ein intimes Theater der leisen Töne, in dem wenige Schauspieler*innen auf kleiner Bühne und nahe am Publikum vor allem durch subtiles Spiel und die Kraft der Worte wirken sollten. Eher ohne Worte fand diese Form ihren Platz im deutschen Stummfilm. 1921 drehte Lupu Pick mit "Scherben" den ersten sogenannten Kammerspielfilm.

Die "Kammer" ist hier ein Bahnwärterhäuschen im winterlichen Nirgendwo. Hier leben der Bahnwärter (Werner Krauß) und seine Frau (Hermine Straßmann-Witt) mit ihrer Tochter (Edith Posca). Per Telegraph wird ihnen der Besuch eines Inspektors (Paul Otto) angezeigt, den sie unterzubringen haben. Kaum ist er da, nutzt der Inspektor eine Abwesenheit des Bahnwärters, um die Tochter zu verführen. Das bleibt ihrer Mutter nicht verborgen. Kopflos rennt sie in die kalte Nacht und erfriert an einem Wegkreuz. Am Morgen findet ihr Mann die Leiche, kann sich aber nicht erklären, was passiert ist. Die Tochter fleht derweil den Inspektor an sie mitzunehmen. Als dieser sie schroff zurückweist, verrät die Tochter dem Bahnwärter ihr Geheimnis. Dieser erwürgt daraufhin den Inspektor, hält den nächsten Zug an und stellt sich.

"Scherben" ist in seiner Kargheit und Trostlosigkeit vielleicht der deutscheste aller Filme. Er beginnt mit einer langen Einstellung, in der die Kamera Schienen entlang gleitet. Ebenso unaufhaltsam rutscht die Bahnwärterfamilie im Film ihrem Untergang entgegen. Ein deutliches Vorzeichen sind die Scherben des Titels, die entstehen als ein Windstoß ein Fenster im Bahnwärterhaus zuschlägt, just als der Telegraph tickert. Carl Mayers Drehbuch lässt von Anfang an keinen Zweifel an der tragischen Dynamik der Entwicklungen. Den Bahnwärter spielt Werner Krauß denn auch wie eine Marionette, als den unschuldigen Ausführenden dieser quasi-griechischen Tragödie im Kleinbürgermillieu. Umso ironischer wirkt es dann, wenn der Bahnwärter am Ende, im einzigen Dialogtitel des Films überhaupt, von sich sagt: "Ich bin ein Mörder."

"Scherben" ist ein sorgfältig inszenierter, brilliant ausgeleuchteter und effektiv geschnittener Film mit durchaus vielschichtigen Deutungsebenen. Da wären die schonungslos dargestellte Ödheit des bahnwärterlichen Familienlebens, der die Tochter offensichtlich entfliehen möchte, die tragische bürgerliche Fixation auf die Unberührtheit der schon erwachsenen Frau und nicht zuletzt der Konflikt zwischen der Unterwürfigkeit des Bahnwärters gegenüber seinem Vorgesetzten und seinem Hausrecht, das ihn wiederum zur Bestrafung des Unholds berechtigt. Lupu Pick hat hier eine Vignette seiner Zeit zum filmischen Klassiker geadelt. "Scherben" ist großes Kino, wenn auch das Popcorn diesmal besser zu Hause bleibt.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Scherben
Regie: Lupu Pick
Drehbuch: Carl Mayer, Lupu Pick
Kamera: Friedrich Weinmann 
Musik: Giuseppe Becce, Alexander Schirmann 
Darsteller: Werner Krauß, Edith Posca, Paul Otto, Hermine Straßmann-Witt, Lupu Pick
Produktionsfirma: Rex-Film GmbH
Produzent: Lupu Pick
Uraufführung: 27. Mai 1921, U.T. Kurfürstendamm und Mozartsaal, Berlin

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Souverän inszeniert und visuell aufregend

Kein anderer Regisseur verstand so virtuos wie Lang, dem Publikum der Zwischenkriegszeit zu geben, was es wollte. Mit geradezu tiefenpsychologischer Spürnase vermochte er den Träumen und Ängsten seiner Zuschauer wirkmächtige Bildgestalt zu verleihen. Nichts in Langs Welt ist jemals banal. Die Welt ist voller verborgener Schätze ("Die Spinnen", D 1919), der Mond gar aus Gold ("Frau im Mond", D 1929). Alles Sichtbare ist Täuschung, denn geniale Bösewichte in geheimen Unterwelten treiben ihr abgekartetes Spiel mit uns ("Dr Mabuse der Spieler", D 1922; "Spione" D 1928). Vergangenheit und Zukunft treten uns in Form heroischer Übermenschen in entsprechenden Landschaften entgegen ("Die Nibelungen", D 1924; "Metropolis", D 1927). Lang scheut nicht die Kolportage, aber es ist Kolportage auf hohem Niveau.

"Der müde Tod" passt hervorragend in diesen aufgeladenen Lang'schen Bilderbogen. Es handelt sich hier um einen recht vielschichtigen Film. Die Rahmenhandlung atmet reine deutsche Romantik, während in den drei Episoden Schauplätze, Genres und Stimmung sich bunt abwechseln. Die Episodenhaftigkeit gibt Lang die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Geschichten zu erzählen und zwingt ihn dabei gleichzeitig zu einer für ihn seltenen Ökonomie, die dem Film durchaus gut tut.

Ein junges Paar (Lil Dagover und Walter Janssen) fährt in einer Kutsche durch eine deutsche Landschaft der Biedermeierzeit. Ein düsterer Fremder (Bernhard Goetzke) steigt zu. Als die Kutsche an einem Gasthof hält, verschwinden Fremder und junger Liebhaber. Verzweifelt sucht das Mädchen nach dem Geliebten. Sie erfährt, dass der Fremde vor einiger Zeit ein Grundstück beim Friedhof gekauft und mit einer hohen Mauer umgeben hat. Dort sucht sie, findet aber nur die Seelen der Verstorbenen, die durch die Mauer ziehen. Verzweifelt trinkt das Mädchen Gift, um ebenfalls ins Innere vorzudringen. Hier gibt sich ihr der Fremde als der Tod zu erkennen. Er ist umgeben von Tausenden von Kerzen, die die Leben der Menschen repräsentieren. Den Verlobten könne er ihr nur zurückgeben, wenn es ihr gelinge, eine von drei heruntergebrannten Kerzen vor dem Verlöschen zu bewahren.

Es folgen die Geschichten der drei Kerzen: eine orientalische Abenteuergeschichte, eine Rachetragödie im Venedig der Renaissance und ein chinesisches Zaubermärchen. Alle drei Geschichten sind knapp und spannend erzählt, dabei aufwändig und mit viel Spielfreude in Szene gesetzt. Lil Dagover, Walter Janssen und Bernhard Goetzke treten in jeder Geschichte in unterschiedlichen Rollen auf. Dreimal erfolglos, erwirkt das Mädchen ein letztes Angebot des Todes: finde sie ein freiwillig aufgegebenes Leben, könne sie es gegen das des Geliebten eintauschen. Doch niemand im Biedermeierdorf ist bereit zu sterben, nicht einmal der Bettler oder die Bewohner des Siechenhauses. So gibt das Mädchen schließlich sein eigenes Leben hin und ist im Tod mit dem Geliebten vereint.

Das Herausragende an "Der müde Tod" sind die Erzählfreude und der visuelle Einfallsreichtum der ihr zur Seite steht. Spricht Lang in Interviews gern darüber, wie er für die Nibelungen ganz verschiedene Welten erschaffen musste, so trifft dies für "Der müde Tod" mindestens ebenso zu. Orient, Venedig und Märchen-China erstehen vor den Augen des Zuschauers in detailreicher, attraktiver Gestalt. Die Unterschiedlichkeit der Welten geht einher mit den unterschiedlichen Stimmungen der Episoden. Die Geschichte der ersten Kerze ist abenteuerlich, die der zweiten tragisch und die der dritten geradezu albern. Es sind die visuellen Effekte dieser chinesischen Episode, die vor allem in Erinnerung bleiben, zusammen mit dem Spiel Lil Dagovers und Berhard Goetzkes, die hier Archetypen des deutschen romantischen Märchens verkörpern dürfen. "Der müde Tod" ist virtuos und immer visuell aufregend. Es ist durchaus glaubhaft, dass er Douglas Fairbanks zu seiner orientalischen Fantasie "The Thief of Bagdad" (USA 1925) inspiriert hat, wie gerne berichtet wird.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Der müde Tod
Regie: Fritz Lang
Drehbuch: Thea von Harbou, Fritz Lang
Kamera: Erich Nitzschmann, Hermann Saalfrank, Fritz Arno Wagner
Ausstattung: Walter Röhrig, Hermann Warm, Robert Herlth
Musik: Giuseppe Becce, Karl-Ernst Sasse Sr., Peter Schirmann 
Darsteller: Lil Dagover, Walter Janssen, Bernhard Goetzke, Hans Sternberg, Carl Rückert, Max Adalbert
Produktionsfirma: Decla-Bioscop AG, Berlin
Produzent: Erich Pommer
Uraufführung: 06. Oktober 1921 in den Berliner Kinos U.T. Kurfürstendamm und Mozartsaal

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Frische Musik für den "müden Tod": Im Gespräch mit Richard Siedhoff

Exotische Leidenschaft in Woltersdorf

"Der Welt größter Film" hieß es in der deutschen Presse im Jahr 1921 noch vor der Uraufführung des ersten Teils von "Das indische Grabmal". Nur, wer hatte diesen Slogan lanciert? Regisseur Joe May verwehrte sich ausdrücklich dagegen, dass er es gewesen sei, und schließlich musste der Pressechef der May Film, Wilhelm Auspitzer, zugeben diese wenig bescheidenen Bezeichnung erfunden zu haben. Zu Recht?

Einiges spach dafür. Immerhin waren in Woltersdorf 18 Bauten eigens für den Film errichtet worden, darunter ein Tempel von 30 Metern, zwei Türme von je 35 Metern und ein Palast von 40 Metern Höhe. Fünf Monate lang hatten mehr als 300 Arbeiter daran gebaut. In diesen monumentalen Kulissen sehen wir im Fim ca. 2000 Statist*innen agieren, darunter 600 Tartaren aus einem Interniertenlager in Wühnsdorff. Viele dieser Statist*innen reiten auf Pferden, einige sogar auf Elefanten, welche ebenso wie fünf ausgewachsene Tiger aus dem Tierpark Hagenbeck und dem Zirkus Sarrasani entliehen waren. Nicht zuletzt ist "Das indische Grabmal" bis in die Nebenrollen mit ausgezeichneten Schauspieler*innen mit bekannten Namen besetzt, wie Conrad Veidt, Olaf Fönss, Mia May, Erna Morena, Paul Richter, Bernhard Goetzke, Louis Brody, Georg John und Lya de Putti.

Das Drehbuch vom Ehepaar Thea von Harbou und Fritz Lang erzählt eine Geschichte voller Wunder und Intrigen. Maharadscha Ayan von Eschnapur (Veidt) schickt einen Wunderyoghi (Goetzke) nach Europa, um den Architekten Herbert Rowland (Fönss) für den Bau eines Grabmals für seine Gattin zu gewinnen. Rowland muss sofort abreisen und darf seine Frau (May) nicht mitnehmen. Die reist ihm aber nach. In Indien stellt Rowland entsetzt fest, dass die Gattin des Maharadschas (Morena) noch lebt, aber wegen einer Liaison mit einem britischen Offizier (Richter) dem Tod geweiht ist. Als sich der Maharadscha auch noch in die Architektengattin verliebt macht das die Situation nicht einfacher.

Eine ziemliche Räuberpistole also, befeuert von westlichem Überlegenheitsdenken und klein Fritzchens Vorstellung vom exotischen Indien. Aber in was für Schauwerte übersetzt "Das indische Grabmal" diese Räuberpistole! Von der ersten Einstellung an fesseln die Bilder dieses Monumentalfilms. Unglaublich sorgfältig und effektvoll werden die großartigen Bauten und Kostüme von einer intelligenten und variantenreichen Kamera ins Bild gesetzt. Die Kunst der Schauspieler und eine gelungene Regie der Massen tun ein Übriges um diesen Zweiteiler zu einem Erlebnis für die Augen werden zu lassen. Zu den Szenen, die im Gedächtnis bleiben, zählen die Erweckung des Yoghi, der Empfang Rowlands vor dem Palast, das Verließ der Büßer, die Flucht aus dem Hof der Aussätzigen und der Gang durch den Tigerhof.

Man spürt Fritz Langs Hand im Drehbuch und so war Lang anscheinend auch recht geknickt, als Joe May ihn nicht auch Regie führen ließ. Unter Langs Führung wären vielleicht die zwei einzigen Schwächen des indischen Grabmals vermieden worden: das für einen Abenteuerfilm zu elegische Tempo und die Besetzung der weiblichen Hauptrolle mit der matronenhaften Regisseursgattin, über die der zeitgenössischer Kritiker Arthur Kreeft diplomatisch schrieb: "Das Spiel Mia Mays war zwingend und verwischte den nicht immer günstigen Eindruck ihrer Erscheinung."

"Das indische Grabmal" war ein großer kommerzieller Erfolg und befeuerte die öffentliche Phantasie derart nachhaltig, dass 1938 und 1959 Tonfilmremakes folgten, die allerdings deutlich weniger gelungen sind, auch wenn Fritz Lang bei dem 59er-Film endlich selbst Regie führen durfte.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Das indische Grabmal
Regie: Joe May
Drehbuch: Thea von Harbou, Fritz Lang
Kamera: Werner Brandes, Karl Puth
Ausstattung: Otto Hunte, Martin Jacoby-Boy, Erich Kettelhut, Karl Vollbrecht
Musik: Wilhelm Löwitt
Darsteller: Conrad Veidt, Olaf Fönss, Mia May, Paul Richter, Erna Morena, Lya de Putti, Bernhard Goetzke, Georg John, Hermann Picha, Lewis Brody, Karl Platen, Wilhelm Diegelmann
Produktionsfirma: May-Film GmbH für E.F.A., Berlin
Produzent: Joe May
Uraufführung: 22. Oktober 1921, Ufa-Palast am Zoo, Berlin

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Schicksale auf der Hintertreppe

Im gleichen Jahr wie "Scherben" wurde ein weiteres Drehbuch von Carl Mayer zu einem Kammerspielfim umgesetzt. Bei "Hintertreppe" führte der arrivierte Theaterregisseur Leopold Jessner Regie und die weibliche Hauptrolle spielte Henny Porten, deren eigene Firma den Film auch produzierte.

Auf der Hintertreppe des Titels treffen sich jeden Tag ein Dienstmädchen (Henny Porten) und ein Postbote (Fritz Kortner), der sie heimlich liebt. Das Dienstmädchen ist aber bereits mit einem Handwerker (Wilhelm Dieterle) liiert, und so muss der Postbote ihr widerwillig die Briefe des Rivalen bringen. Als irgendwann keine Nachrichten des Geliebten mehr kommen, ist das Dienstmädchen verzweifelt. Um sie zu trösten bringt ihr der Postbote also von ihm selbst gefälschte Briefe. Das Dienstmädchen überrascht ihn beim Schreiben und ist so gerührt, dass sie sich mit dem Postboten verlobt. Zur Verlobungsfeier erscheint aber auch der Handwerker, der nach einem Arbeitsunfall im Krankenhaus gelegen hatte. Die beiden Männer geraten in Streit und der Postbote tötet seinen Rivalen. Darauf stürzt sich das Dienstmädchen vom Dach in den Tod.

Wie in "Scherben" lässt Carl Mayer auch in "Hintertreppe" das Schicksal quasi zwangsläufig auf ein tragisches Ende zusteuern, auch hier sind am Ende zwei der wenigen Charaktere tot. Und doch hat Leopold Jessner einen ganz anderen Film gedreht. Wo "Scherben" in Dekor und Spiel zurückgenommen ist, bietet "Hintertreppe" expressionistische Überzeichnung. Die von Paul Leni gestalteten Kulissen sind theaterhaft symbolgeladen und Fritz Kortners Postbote lebt nicht nur unterirdisch in einem Kellerloch am Hinterhof, er selbst wirkt in seinem expressiven Spiel wie ein Kobold.

Der geniale Trick des Films ist im Titel angedeutet: Anstatt sich mit den besseren Herrschaften im Vorderhaus und ihrem Leben zu beschäftigen, geht es hier um die Welt dahinter, die Welt der Hintertreppen, Hinterhöfe und der dort lebenden Dienstboten. Immer wieder sehen wir Henny Portens Dienstmädchen bei der Arbeit – in der Küche oder beim Ein- und Abdecken im Speisezimmer. Immer ist sie dabei allein, getrennt von den Herrschaften, die wir durch eine Glastür als Schatten wahrnehmen. Sie bewohnen eine Welt, die den Kinobesuchern aus vielen Filmen vertraut ist. Das Dienstmädchen hingegen bewohnt die Welt, die der größte Teil des Publikums aus seinem eigenen Leben kennt.

"Hinterteppe" will zeigen, dass sich auch in der vom Film vernachlässigten Welt des Dienstpersonals große Tragödien abspielen können. Das merken auch die Herrschaften des Dienstmädchens im Film, die wir zum ersten Mal sehen als sie aufgeschreckt vom Tumult um die tragischen Ereignisse am Ende den Hinterhof betreten und voller Schrecken Zeugen des tragischen Endes des Dienstmädchens werden. Es drängt sich dem Betrachter der Gedanke auf, dass Henny Porten mit diesem Film ihren treuesten Fans ein Denkmal setzen wollte.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Hintertreppe
Regie: Leopold Jessner, Paul Leni
Drehbuch: Carl Mayer
Kamera: Karl Hasselmann, Willy Hameister
Ausstattung: Paul Leni, Karl Görge
Musik: Hans Landsberger
Darsteller: Henny Porten, Wilhelm Dieterle, Fritz Kortner
Produktionsfirma: Henny Porten-Film GmbH, Berlin
Produzenten: Hanns Lippmann, Henny Porten
Uraufführung: 11. Dezember 1921, U.T. Kurfürstendamm, Berlin

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Ein Monumentalfilm mit humanistischem Wertekompass

Mit der Großfilmproduktion "Nathan der Weise" wagte sich die Bavaria Film 1922 an eines der großen Dramen der Literaturgeschichte. Das dem Humanismus und der universellen Idee von der Gleichheit aller Menschen verpflichtete Werk von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) erschien 1779. Lessing, einer der prägenden Dichter der Aufklärung, arbeitete über Jahrzehnte an seinem „dramatischen Gedicht“. Die szenische Uraufführung seines Werkes am 14. April 1783 in Berlin erlebte der Literat nicht mehr.

Jerusalem im 12. Jahrhundert: Die monotheistischen Religionen Christentum, Islam und Judentum tragen auf heiligem Boden schwere Konflikte aus, die Zeit der Kreuzzüge. Dem Juden Nathan fällt die Rolle zu, hier zu vermitteln und für Mitmenschlichkeit und Toleranz zu werben, auch mit dem persönlichen Risiko, sein Leben zu verlieren. Mit seinem klaren Wertekompass beeindruckt er Freund und Feind und trägt zum gegenseitigen Verständnis bei.

Die in München ansässige Bavaria Film des Filmproduzenten Erich Wagowski, eine von mehreren im Kinobereich tätigenTochterfirmen der "Emelka" (Konzern Münchner Lichtspielkunst), wollte mit aufwändigen und publikumswirksamen Kinowerken dem Berliner Ufa-Konzern, der überwiegend in Berlin produzierte und die deutsche Filmwirtschaft dominierte, Paroli bieten. Die Wahl fiel auf Lessings berühmtes Drama, das von Hans Kyser in ein Drehbuch mit vielen schauwertreichen Szenen umgearbeitet wurde. Es ist zu vermuten, das es dem jüdisch gläubigen Erich Wagowski in Zeiten eines gerade auch in München massiv erstarkenden Antisemitismus ein Anliegen war, dem Publikum mit der Lessing-Verfilmung nicht nur packende Unterhaltung zu bieten, sondern auch aufklärerisch zu wirken: "Der Film der Humanität" pries die Kinowerbung "Nathan der Weise" an.

Mit der Regie wurde der nicht einmal 30 Jahre alte Manfred Noa beauftragt, der bereits seit 1915 als Filmarchitekt und ab 1916 auch als Regisseur tätig war, und mit Werner Krauß und Carl de Vogt konnten für die Hauptrollen zwei etablierte Mimen des Weimarer Kinos verpflichtet werden. Auch die weiteren Rollen wurden mit bewährten Darsteller*innen besetzt, etwa mit der unverwüstlichen Margarete Kupfer, dem hageren Max Schreck (kurz nach seinem Einsatz als "Nosferatu") und dem in den 1920er Jahren vielbeschäftigten Fritz Greiner.

Noch heute beeindruckt an "Nathan der Weise" der unbedingte Gestaltungswille seiner Macher*innen: Jede Einstellung ist visuell durchkomponiert und zielt auf optischen und dramaturgischen Effekt. Die beeindruckenden Filmsets rahmen die Spielszenen und verleihen der Produktion einen edlen Touch. Dabei bieten die vielen unterschiedlichen Texturen, von Wandbemalungen bis hin zu Fenstergittern, Vorhängen und variationsreichen Steinoberflächen jede Menge Augenfutter und Abwechslung für die Zuschauer*innen.

Zu den bemerkenswertesten Sequenzen des Films gehört die Umsetzung der Ringparabel-Szene, in Lessings Drama eine Schlüsselszene: Die Einstellungen in Noas Kinowerk sind wie ein Schattentheater inszeniert und erinnern heutige Zuschauer*innen an Lotte Reinigers Silhouettenfilme. Die Reduzierung auf schwarze und weiße Bildelemente steht in einem deutlichen Kontrast zu den nuancierten, abgestuften Grauwerten des restlichen Films und geben der Szene etwas Abstraktes, geradezu Avantgardistisches.

Die Uraufführung von "Nathan der Weise" fand am 29. Dezember 1922 im Berliner Kino Alhambra statt, in München konnte der Film wegen Gewaltandrohungen von rechtsradikalen Gruppierungen nur eingeschränkt gezeigt werden. Lange Zeit verschwand er aus dem öffentlichen und filmhistorischen Bewusstsein und galt als verschollen. In den 1990er-Jahren wurde dann im staatlichen russischen Filmarchiv in Moskau ein nahezu vollständige Kopie entdeckt, die Grundlage für eine aufwändige Restaurierung durch das Filmmuseum München war. 2006 erschien "Nathan der Weise" dann in einer nach den Konventionen der Zeit vorgenommenen Einfärbung in der Reihe „Edition Filmmuseum“ mit zwei Musikbegleitungen: Zum einen eine Komposition von Aljoscha Zimmermann, aufgeführt von Sabrina Hausmann (Violine) und Mark Pogolski (Flügel), zum anderen eine improvisierte Klavierbegleitung von Joachim Bärenz. Schließlich wurde Noas Film 2010 auf ARTE ausgestrahlt und so einem breiten Publikum wieder zugänglich gemacht.

Nach „Nathan der Weise“ drehte Regisseur Manfred Noa mit dem Zweiteiler "Helena" (D 1924) anschließend noch einen Ausstattungsfilm für die Bavaria, erneut nach einem Drehbuch von Hans Kyser. Ein Streifen, der in seiner Monumentalität und Ambitioniertheit „Nathan der Weise“ noch überflügelt. Nach zwei Dutzend weiteren Filmen starb das 1894 geborene Regietalent bereits 1930.

"Ihr Völker duldet Euch! Ihr Menschen verschiedener Religionen, Sitten und Meinungen, helft und vertragt Euch! - Seid Menschen!" wirbt der letzte Zwischentitel in "Nathan der Weise". Er hat nichts an Aktualität verloren.

Autor: Frank Hoyer

Credits
Titel: Nathan der Weise
Regie: Manfred Noa
Drehbuch: Hans Kyser
Kamera: Gustave Preiss, Hans Karl Gottschalk
Darsteller: Werner Krauß, Carl de Vogt, Fritz Greiner, Lia Eibenschütz, Ferdinand Martini, Max Schreck, Bella Muzsnay, Margarete Kupfer, Wolfgang von Schwind, Ernst Schrumpf, Rudolf Lettinger
Produktionsfirma: Filmhaus Bavaria GmbH
Produzent: Erich Wagowski
Uraufführung: 29. Dezember 1922 im Berliner Alhambra

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