Jubiläumsfilme des Aufführungsjahres 1920

Die erste deutsche parlamentarische Demokratie von 1918 bis 1933 bildete den gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Rahmen für eine der interessantesten Perioden der internationalen Filmgeschichte.

Stummfilme wie Robert Wienes expressionistischer Horrorfilm "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920), Friedrich Wilhelm Murnaus Vampirgeschichte "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens" (1922) und Fritz Langs Science-Fiction-Monumentalfilm "Metropolis" (1927) entstanden in dieser Zeit, sind vielzitierte Meilensteine der Filmgeschichte und ziehen auch heute noch ein weltweites Publikum in ihren Bann.

Die Initiative "100 Jahre Stummfilm-Klassiker der Weimarer Republik" stellt jedes Jahr eine Auswahl an Filmen vor, die dann ihr hundertjähriges Veröffentlichungsjubiläum feiern. Die Zusammenstellung orientiert sich an der filmhistorischen Bedeutung der Werke, also an inhaltichen, technischen und gestalterischen Kriterien. Auch wurde die Rezeptionsgeschichte berücksichtigt. Die Zuordnung der Film an das jeweilige Jahr richtet sich, soweit möglich, nach den Uraufführungsterminen. Die Jubiläumsfilme des Aufführungsjahres 1920 sind:

♦ "Das Cabinet des Dr. Caligari", Regie: Robert Wiene, Uraufführung am 26.02.1920 in Berlin
♦ "Der Reigen", Regie: Richard Oswald, Uraufführung am 27.02.1920 in Berlin
♦ "Kohlhiesels Töchter", Regie: Ernst Lubitsch, Uraufführung am 09.03.1920 in Berlin
♦ "Sumurun", Regie: Ernst Lubitsch, Uraufführung am 01.09.1920 in Berlin
♦ "Genuine", Regie: Robert Wiene, Uraufführung am 02.09.1920 in Berlin
♦ "Algol", Regie: Hans Werckmeister, Uraufführung am 03.09.1920 in Berlin
♦ "Das Wunder des Schneeschuhs", Regie: Arnold Fanck, Uraufführung im Oktober 1920 in Freiburg
♦ "Der Golem, wie er in die Welt kam, Regie: Carl Boese und Paul Wegener, Uraufführung am 29.10.1920 in Berlin
♦ "Anna Boleyn", Regie: Ernst Lubitsch, Uraufführung am 03.12.1920 in Weimar

Stummfilm Magazin wünscht eine unterhaltsame und informative Reise in die Frühzeit des Kinos!

Filmkanon für das Aufführungsjahr 1920

Du musst Caligari werden

Am 26. Februar 1920 fand im Berliner Kino Marmorhaus die Premiere von Das Cabinet des Dr. Caligari statt. Der expressionistische Film gilt als einer der bedeutensten der Kinogeschichte und als ein Schlüsselwerk des deutschen Films.

Die Produktion der Decla-Film-Gesellschaft Berlin unter Leitung der Produzenten Rudolf Meinert und Erich Pommer erzählt die Geschichte eines unheimlichen Wanderausstellers, der mithilfe seines schlafwandlerischen Gehilfen Angst und Schrecken in einem Städtchen verbreitet und dabei nicht vor Mord zurückschreckt. Ergänzt wird die Szenerie durch eine Rahmenhandlung, die die Protagonisten des Geschehens als Insassen einer Nervenheilanstalt verortet.

Unter der Regie von Robert Wiene spielten Werner Krauß, Friedrich Fehér, Lil Dagover, Conrad Veidt und Hans Heinrich von Twardowski. Der Film nach einem Drehbuch von Hans Janowitz und Carl Mayer besticht auch heute noch durch seine außergewöhnliche expressionistische Ausstattung, die von Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig kreiert wurde und die in dieser Form bei der Veröffentlichung des Films ein Novum auf der Kinoleinwand war. "Caligari" war sowohl im In- als auch im Ausland ein großer Erfolg an den Kinokassen und zog viel Aufmerksamkeit der internationalen Kinoindustrie auf den Filmstandort Deutschland, der im Begriff war, sich international aufzustellen.

"Caligari" wird als Vexierbild eines gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch zerrissenen Deutschlands nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs interpretiert. Für den Filmtheoretiker Siegfried Kracauer war der Film Kristallisationspunkt seines bedeutenden Buchs "From Caligari to Hitler", ein Standardwerk über den deutschen Stummfilm. Dort versuchter er anhand der Filmgeschichte die soziale Struktur der deutschen Gesellschaft von den Anfängen des Mediums im ausgehenden 19. Jahrhundert bis zur Machtergreifung der Nazis zu deuten. Das Buch war 2014 Grundlage für einen Dokumentarfilm von Rüdiger Suchsland mit gleichem Titel

Die Friedrich-Wilhem-Murnau-Stiftung hat "Das Cabinet des Dr. Caligari" im Jahr 2014 aufwändig in 4k digital restauriert. Grundlage war das originale Kameranegativ aus dem Bestand des Bundesarchivs. Fehlende Stellen, darunter die erste Filmrolle, und die Einfärbung wurden anhand zahlreicher Kopien aus internationalen Filmerbeeinrichtungen ergänzt bzw. rekonstruiert. Einen Einblick in die Restaurierung geben verschiedenen Videos auf YouTube (hier, hier und hier). Der Film liegt als Blu-ray und DVD (Universum FIlm) mit einem ausführlichen Booklet, einer fünfzigminütigen Dokumentation von Rüdiger Suchsland und weiterem Bonusmaterial vor.

Hier einige Fundstücke zum Jubiläum und zum Film:

♦ Bis 01. März 2021 war in der Deutschen Kinemathek in Berlin die Sonderausstellung "Du musst Caligari werden! Das virtuelle Kabinett" zu sehen. Einen filmischen Einblick in die Schau gibt es auf vimeo. Der Berliner Tagesspiegel und taz.de berichteten, neben verschiedenen anderen Medien, über die Ausstellung. 

♦ Das Virtual-Reality-Projekt “Der Traum des Cesare” ist auf YouTube zu finden.

♦ Literaturtipps:
- Olaf Brill: Der Caligari-Komplex, Belleville-Verlag
- Ilona Brennicke, Joe Hembus: Klassiker des deutschen Stummfilms 1910-1930. Goldmann-Verlag
- Siegfried Kracauer: Von Caligari zu Hitler – Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Suhrkamp-Verlag
- Lotte H. Eisner: Die dämonische Leinwand, Fischer-Verlag
- Sabine Schwientek: Dämon der Leinwand – Conrad Veidt und der deutsche Film 1894-1945, Schüren-Verlag

Filme, die mehr oder weniger direkt auf "Das Cabinet des Dr. Caligari" Bezug nehmen (Auswahl):
Die große Liebe einer kleinen Tänzerin (D 1924)
Das Kabinett des Dr. Larifari (D 1930)
The Cabinet of Caligari (USA 1962) 
The Cabinet of Caligari (USA 2005)
Das Kabinett des Dr. Parnassus (Großbritannien/Kanada 2009)

♦ Weiterführende Infos:
Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung
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Bettina Müller auf Stummfilm Magazin über den Schauspieler Conrad Veidt
Frank Hoyer über den Schauspieler Hans Heinrich von Twardowski

Credits
Titel: Das Cabinet des Dr. Caligari
Regie: Robert Wiene
Drehbuch: Hans Janowitz, Carl Mayer
Kamera: Willy Hameister
Ausstattung: Walter Reimann, Hermann Warm, Walter Röhrig
Darsteller: Werner Krauß, Conradt Veidt, Lil Dagover, Friedrich Fehér, Hans Heinrich von Twardowski, Rudolf Lettinger, Rudolf Klein-Rogge
Produktionsfirma: Decla-Film-Gesellschaft Berlin
Produzent: Rudolf Meinert, Erich Pommer
Uraufführung: 26.02.1920 im Mamorhaus in Berlin

Autor: Frank Hoyer

Momente echten Empfindens

Titel und Jahr lassen aufhorchen, führen aber auf die falsche Fährte. Hier handelt es sich nicht um eine Verfilmung von Arthur Schnitzlers Skandalstück, das im Dezember 1920 in Berlin uraufgeführt wurde. Die Premiere unseres Reigens fand bereits zehn Monate zuvor, im Februar des gleichen Jahres statt. Thematisch gibt es aber durchaus Ähnlichkeiten.

Elena (Asta Nielsen), ein Mädchen aus bürgerlichem Hause, erweckt in Männern übermächtige Begierde. Erst will ihr Klavierlehrer (Willy Schaeffers) sie verführen, dann übernimmt dessen Bruder Peter Karvan (Conrad Veidt) – wesentlich erfolgreicher – diese Aufgabe. Karvan spielt Klavier in einem Tingeltangel. Nachdem Helenas Versuche als Sängerin in diesem Etablissement nicht erfolgreich sind, schickt Karvan sie für sich auf die Straße.

Um diesem Leben zu entfliehen antwortet Helena auf eine Kleinanzeige und findet Arbeit und Wohnung als Gouvernante der kleinen Tochter von Albert Peters (Eduard von Winterstein) und seiner moribunden Frau (Irmgard Bern). Wie zu erwarten verliebt sich Peters sofort in Helena, sie widersetzt sich seinen Avancen aber standhaft. Als er sich ihr schließlich mit Gewalt nähern will, kommt seine Frau hinzu und fällt sofort tot um. Helena entschließt sich des Kindes wegen Peters zu heiraten.

Nun könnte alles gut sein, aber Peters Bruder Fritz (Theodor Loos) kommt von einer Reise zurück und entbrennt sofort in heißer Liebe zu Helena. Außerdem hat Karvan Wind vom plötzlichen Reichtum seiner ehemaligen Sklavin bekommen und beginnt sie zu erpressen. Er lässt Albert Peters einen Brief zukommen, den dessen Bruder Helena geschrieben hat. Daraufhin bringt sich Peters vor Helenas Augen um. Helena geht in den Tingeltangel und erschießt Karvan auf offener Bühne.

Die Inhaltswiedergabe lässt keinen Zweifel: Hier handelt es sich im Grunde um pure Kolportage, um einen verfilmten "Dienstbotenroman". Solche Stoffe waren im internationalen Stummfilm äußerst beliebt, italienische Filmschaffende haben mit ihren sogenannten "Divenfilmen" sogar ein eigenes Genre geprägt. Stolze, aufrechte Frauen werden vom Leben gebrochen und wir dürfen über fünf bis sieben Akte an ihrem Leiden teilhaben. "Der Reigen" sticht aus der Masse dieser Filme deutlich heraus.

Der Grund dafür ist die Hauptdarstellerin Asta Nielsen, der es auf wundersame Weise gelingt, der unglaubhaften und abgedroschenen Geschichte Momente echten Empfindens abzuringen.

Asta Nielsen war der erste große weibliche Star des europäischen Kinos. Nach ihrem Welterfolg mit "Abgründe" von 1911, noch in ihrem heimischen Dänemark von ihrem Ehemann Urban Gad gedreht, wurde sie bald von der deutschen Filmindustrie angeworben, der sie bis in die Tonfilmzeit treu blieb. Sie war universell beliebt bei Publikum und Kritik. Bela Balazs schrieb 1922 über sie: „Senkt die Fahnen vor ihr, denn sie ist unvergleichlich und unerreicht.“

In "Der Reigen" hat Asta Nielsen Gelegenheit zu zeigen, worin ihre besondere Qualitäten begründet sind. Ihre Ausstrahlung und Präsenz lassen uns die Prämisse, dass ihr jeder Mann sofort verfallen muss, tatsächlich einigermaßen glaubwürdig erscheinen. Aus diesem Grund besetzte Leopold Jessner sie auch zwei Jahre später in der Rolle der Lulu in Wedekinds "Erdgeist". Vor allem ist die Nielsen aber eine furchtlose Schauspielerin, die sich mit vollem Einsatz in ihre Rollen stürzt. In der letzten Szene dürfen wir in ihre Augen schauen, wenn sie auf Karvan schießt. Und es wirkt – nicht nur in diesem Moment – als habe sich eine Frau aus unserer Zeit in dieses verstaubte Melodram verirrt, die selbstbewusste Protagonistin nicht nur des Films, sondern ihres eigenen Lebens.

Wie so oft ähnelt der deutsche Stummfilm auch in "Der Reigen" einem Provinztheater, in dem bei jeder Aufführung die gleichen Schauspieler auf der Bühne stehen. Mit Conrad Veidt, Theodor Loos und Eduard von Winterstein spielen gleich drei dieser alten Bekannten mit, und auch Loni Nest, das deutsche Stummfilmkind der Zwanziger, darf natürlich nicht fehlen.

Hat Arthur Schnitzler diesen Film gesehen? Warum nicht? Hat er sich davon zu seinem Theaterstück gleichen Namens inspirieren lassen? Vielleicht vom Titel.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Der Reigen
Regie: Richard Oswald
Drehbuch: Richard Oswald
Kamera: Carl Hoffmann, Axel Graatkjær
Bauten: Hans Dreier
Darsteller: Asta Nielsen, Conrad Veidt, Theodor Loos, Eduard von Winterstein, Irmgard Bern, Ilse von Tasso, Willy Schaeffers, Loni Nest
Produzent: Richard Oswald
Uraufführung: 27.02.1920 in Berlin

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Henny Porten mal Zwei
 

"Kohlhiesels Töchter" (D 1920) war nicht nur Ernst Lubitschs erfolgreichster Film in Deutschland, es war einer der größten Kinoerfolge der Weimarer Republik überhaupt, wurde mehrfach wiederaufgeführt und nicht weniger als dreimal als Tonfilm neu verfilmt.

Der Stoff stammt aus der Feder von Lubitsch und dem ihm eng verbundenen Drehbuchautor Hanns Kräly, ist aber eindeutig der Shakespeare-Komödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ entliehen und angereichert mit Motiven aus den Dorfgeschichten des ostjüdischen Schriftstellers Sholem Aleichem. Nur dass das Shtetl hier in Oberbayern liegt.

Der Dorfwirt Kohlhiesel (Jakob Tiedtke) hat zwei Töchter. Die schöne – Gretel (Henny Porten) – lockt ihm mit ihren Reizen die Dorfburschen an den Thresen, die häßliche – Liesel (Henny Porten) – schmeißt ihm die ärgsten Saufbolde aus dem Laden. Der stramme Xaver (Emil Jannings) und sein feinfühliger Freund Sepp (Gustav von Wangenheim) sind beide in Gretel verliebt. Aber der alte Kohlhiesel will Gretel erst heiraten lassen, wenn Liesel unter der Haube ist. Listig rät Sepp seinem Spezi Xaver, die Liesel doch selbst zu ehelichen und sich dann so schlecht zu benehmen, dass sie sich schleunigst wieder scheiden lässt. Dann könne er Gretel heiraten.

Xaver befolgt den Rat und heiratet Liesel, auch wenn sie ihn malträtiert und ihm noch Schlimmeres androht. Statt trauter Zweisamkeit macht er ihr dann aber eine unglaubliche Szene, tobt und zertrümmert die gesamte Einrichtung, dass sich Liesel unter dem Sofa verkriecht. Mit dieser testosterongeladenen Demonstration hat Xaver Liesels Herz gewonnen. Fortan folgt sie ihm brav wie ein Hündchen, er aber ignoriert sie. Da gibt ihr Sepp den Tipp, sie solle sich doch nach Art ihrer Schwester herausputzen. Gesagt, getan, und nun liebt auf einmal auch Xaver seine Liesel, so dass der Weg für Sepp und Gretel frei ist.

Zunächst einmal haben wir es bei "Kohlhiesels Töchter" mit einem Henny Porten Vehikel zu tun, daran lässt schon die Doppelrolle keinen Zweifel. Nach ihrem ersten Auftritt im Jahre 1906 als lebende Nippesfigur in dem Messter-Tonbild "Meissner Porzellan" wurde Henny Porten bald zur populärsten Filmschauspielerin Deutschlands und blieb es bis in die Dreißiger Jahre hinein. Hauptsächlich in dramatischen Rollen eingesetzt, gern als leidende Unschuld, beherrschte sie genauso das komische Fach. Selten darf sie das so ausgelassen und effektiv zum Ausdruck bringen wie hier.

Dabei ist die Rolle der Gretel allen Zuschauern vertraut: So agiert Henny Porten in vielen Filmen. Als Liesel kann sie aber eine ganz andere Seite zeigen: körperlich, ungeschminkt und ganz das Gegenteil von süß. Man merkt ihr an wieviel Spaß ihr diese Rolle macht – und weil dieser Funke überspringt, ist Liesel trotz des fehlenden Makeups die weitaus attraktivere der zwei Schwestern. Sie macht zu einem guten Teil den Reiz des Films aus und so ist dessen Erfolg zu eben diesem guten Teil der Komödiantin Henny Porten zu verdanken.

Nun sind da aber auch noch der Regisseur Ernst Lubitsch und sein Autor Kräly. Wie so oft setzen beide auf Überzeichnung. Nahezu alle Charaktere im Film benehmen sich wie Kleinkinder, balgen sich und heulen beim kleinsten Anlass. Das erzielt seine Wirkung aber nur, weil der Film enorm temporeich ist und sich auf das Wesentliche beschränkt. Hier reiht sich Gag an Gag, und auch wenn vieles albern oder vorhersehbar ist, so hat das Publikum doch kaum Zeit zum Atemholen, geschweige denn zur Filmkritik.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Kohlhiesels Töchter
Regie: Ernst Lubitsch
Drehbuch: Hanns Kräly, Ernst Lubitsch
Kamera: Theodor Sparkuhl
Bauten: Jack Winter
Darsteller: Henny Porten, Emil Jannings, Gustav von Wangenheim, Jakob Tiedtke, Willy Prager
Produktionsfirma: Messter-Film GmbH Berlin im Auftrag der Universum-Film AG Berlin (Ufa)
Uraufführung: 09.03.1920 im Ufa-Palast am Zoo

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Dramatik und Komik, Gefühl und Nervenkitzel auf märkischem Sand

Unter den vielen Haremsdamen des großen Scheichs (Paul Wegener) ist ihm Sumurun (Jenny Hasselqvist) die liebste. Auch des Scheichs Sohn (Carl Clewing) schwärmt für sie. Dummerweise liebt Sumurun ihrerseits nur den Stoffhändler Nur-al-Din (Harry Liedtke), und der liebt sie wider. Es herrscht also Unfrieden im Orient.

Die Situation verschärft sich zu einer regelrechten Nahostkrise als eine Truppe Gaukler in die Stadt kommt. Angeführt von einem buckligen Lautenspieler (Ernst Lubitsch) hat die Truppe wenig zu bieten außer den nicht unbeträchtlichen Reizen einer Tänzerin (Pola Negri). Ein gewitzter Sklavenhändler (Paul Biensfeldt) empfiehlt die Tänzerin sofort der Aufmerksamkeit des Scheichs und auch des Scheichsohns hyperaktives Radar für schöne Frauen hat sie bald ausgemacht. Natürlich kommt es nun zu allerlei abenteuerlichen Verwicklungen und eifersüchtigen Ränkespielen.

Auf den Sprechbühnen des ersten Viertels des letzten Jahrhunderts waren pantomimische Stücke mit Musik und Tanz sehr beliebt. Vor allem Max Reinhardt feierte internationale Erfolge mit seinen Aufführungen von Karl Gustav Vollmoellers "Das Mirakel" und Friedrich Freksas "Sumurun". Schon 1910 kam eine abgefilmte Bühnenversion letzterer Pantomime zum ersten Mal in die Kinos. Ernst Lubitsch, der "Sumurun" 1920 deutlich aufwändiger neu verfilmte, hatte auf der Berliner Bühne als einer der zwei Sklaven des Stoffhändlers eine komische Nebenrolle gespielt, besetzte sich nun aber als die tragische Figur des Buckligen. Es war das letzte Mal, dass er selbst vor der Kamera agierte.

Wenige deutsche Stummfilme machen so viel Spaß wie "Sumurun". Dass sich eine Pantomime zur Umsetzung in einen Stummfilm eignet, ist verständlich, aber der besondere Reiz von "Sumurun" entsteht aus dem brillianten Zusammenwirken von Künstlern auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Die Besetzungsliste liest sich wie ein Who is Who der Berliner Bühnen der Zeit: Paul Wegener, Harry Liedtke, Paul Biensfeldt, Aud Egede-Nissen, Jenny Hasselqvist und natürlich Ernst Lubitsch. Hinzu kommt noch Lubitschs damalige leading lady Pola Negri, deren internationale Karriere Jahre zuvor begonnen hatte, als Max Reinhardt sie als Tänzerin in seiner Warschauer Inszenierung von "Sumurun" besetzte.

Diese großartigen und gut aufgelegten Schauspieler bewegen sich in prächtigen Kostümen durch aufwändige und beeindruckende Kulissen, denen man nicht ansieht, dass sie auf märkischem und nicht orientalischem Sand ruhen. Entscheidend für die Wirkung des Films sind aber Buch und Schnitt, ersteres von Lubitsch und Hanns Kräly, letzterer wohl hauptsächlich Lubitsch zuzuschreiben, und die enorm mobile und einfallsreiche Kameraführung von Theodor Sparkuhl und Fritz Arno Wagner. In Kombination verleihen diese Elemente „Sumurun“ nicht nur Tempo und Pfiff, sie schaffen auch eine angenehme Balance zwischen Dramatik und Komik, Gefühl und Nervenkitzel.

Der Autor Friedrich Freksa wünschte sich 1912 in einem Artikel, dass das Kino "den Augenhunger von Millionen von Menschen in schöner und würdiger Art" befriedigen möge. Das gelingt Ernst Lubitsch mit seiner Verfilmung von "Sumurun" in geradezu beispielhafter Weise. .

Autor: Arndt Pawelczik.

Credits
Titel: Sumurun
Regie: Ernst Lubitsch
Drehbuch: Hanns Kräly, Ernst Lubitsch
Kamera: Theodor Sparkuhl, Fritz Arno Wagner
Bauten: Kurt Richter, Ernő Metzner
Kostüme: Ali Hubert.
Darsteller: Paul Wegener, Carl Clewing, Jenny Hasselqvist, Aud Egede-Nissen, Harry Liedtke, Ernst Lubitsch, Margarete Kupfer, Pola Negri, Paul Graetz, Max Kronert, Paul Biensfeldt, Jakob Tiedtke
Produktionsfirma: Universum-Film AG
Produzent: Paul Davidson
Uraufführung: 01.09.1920 in Berlin

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Laszive, tänzerische Bewegungen

Ein greiser irischer Adliger kauft auf einem orientalischen Sklavenmarkt Genuine, eine Frau, die ihm als ebenso schön wie gefährlich angepriesen wird. Zurück in Irland sperrt er sie in seinem Haus ein. Genuine entledigt sich bald des Alten und verzehrt als Vamp mehrere junge Männer, bevor ein Lynchmob ihrem Treiben ein Ende setzt.

Nachdem Regisseur Robert Wiene und Drehbuchautor Carl Mayer mit "Das Cabinet des Dr. Caligari" (D 1920) ein kommerzieller wie kritischer Welterfolg gelungen war, versuchten sie sofort die gleiche Formel erneut anzuwenden. Für "Genuine" wurde wiederum ein Stoff aus dem Bereich des Fantastisch-Unheimlichen gewählt und die Kulissen sollten die Irrealität auch diesmal in expressionistisch verzerrter Weise widerspiegeln. Allerdings musste das ohne die "Caligari"-Ausstatter Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig geschehen, denn die lehnten die Mitarbeit ab. Warm: "Wiene wollte, daß ich die Dekorationen für den Film machen sollte; ich lehnte ab, weil nach meiner Auffassung der Stoff trotz Carl Mayer keine expressionistische Formung forderte. Wiene ließ den Film von dem expressionistischen Maler Prof. Cesar Klein und seinen Schülern ausstatten." Rudolf Kurtz, in seinem Standardwerk "Expressionismus und Film" von 1926, sieht das Ergebnis eher kritisch: "Kleins dekorativer Expressionismus ist reinstes Kunstgewerbe. Überladenes, übersteigertes, orientalisches Teppichmuster mehr als Gestaltung von Raumelementen."

Dabei ist es noch am wenigsten das, was "Genuine" zu einem Film macht, der den Vergleich mit Caligari scheuen muss. Vor allem fehlen ihm schmerzhaft eine stringente Handlung und überzeugende Hauptdarsteller. Gegen die faszinierenden und fesselnden Schauspieler Werner Krauss und Conrad Veidt hat "Genuine" Fern Andra aufzubieten, gebürtige Amerikanerin, ehemalige Zirkusartistin und Star des deutschen Films zu dieser Zeit. Von ihr geht eine nicht zu bestreitende erotische Ausstrahlung aus, aber das allein vermag den Film nicht zu tragen.

Und so lässt sich "Genuine" am besten als eine Art Ballett genießen. Wir folgen den lasziven, tänzerischen Bewegungen der Andra in immer neuen fantastischen Kostümen vor expressionistischen Kulissen. Das einzig andere Bemerkenswerte an "Genuine" ist Louis Brody, der in so vielen deutschen Filmen der Zwischenkriegszeit als schwarzer Darsteller exotisches Kolorit verbreiten soll. Im Vergleich mit den anderen männlichen Darstellern zeigt er hier eine enorme Präsenz und man würde sich wünschen, dass der Zeitgeist und der Mut der Filmschaffenden ihm eine zentralere Rolle und vor allem mehr Zusammenspiel mit der Hauptdarstellerin erlaubt hätten.

Autor: Arndt Pawelczik
 

Credits
Titel: Genuine
Regie: Robert Wiene
Drehbuch: Carl Meyer
Kamera: Willy Hameister
Ausstattung: César Klein
Darsteller: Fern Andra, Hans Heinrich von Twardowski, John Gottowt, Ernst Gronau, Louis Brody, Harald Paulsen, Albert Bennefeld
Produktionsfirma: Decla-Bioskop AG
Produzenten: Erich Pommer, Rudolf Meinert
Uraufführung: 02.09.1920 in Berlin

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Die Maschinenwelt liegt zuletzt in Scherben

Algol ist ein Stern, eigentlich ein System aus drei Sternen, die sich umkreisen, wodurch ihre Helligkeit sich regelmäßig verändert. Der Stern scheint uns zuzuzwinkern und gilt daher seit der Antike als etwas Besonderes, als „Auge des Teufels“, als Unglücksbringer.

Von diesem Stern kommt das Algolmännchen (John Gottowt) auf die Erde und freundet sich mit dem Bergmann Robert Herne (Emil Jannings) an. Es zeigt ihm, wie er mit Hilfe einer Maschine das Licht des fernen Sterns als eine unerschöpfliche Energiequelle für die Erde nutzen kann. Robert Hernes Kraftmaschine versorgt bald die ganze Welt mit Strom. Er lässt die Menschheit ordentlich dafür zahlen, wird unermesslich reich und heiratet die Besitzerin des Bergwerks (Gertrud Welcker), in dem er einst schuften musste.

Glücklich ist Herne aber nicht. Seine Freunde Peter (Hans Adalbert Schlettow) und Maria (Hannah Ralph) sagen sich von ihm los und wandern in das pastorale Nachbarland aus. Sein Sohn (Ernst Hofmann) wird durch den Reichtum dekadent und trachtet mit seiner Geliebten (Erna Morena) nach des Vaters Leben. Als schließlich seine Frau bei einem Unfall im Kraftwerk ums Leben kommt, zerstört Robert Herne die Teufelsmaschine.

"Algol" ist ein besonderer Film und doch auch typisch für die Filme der Weimarer Republik. Was ihn besonders macht sind vor allem die expressionistischen Elemente in den Kulissen und im Spiel der Schauspieler. Robert Hernes Fabrik hat keine rechten Winkel und die Algolmaschine bemüht sich nicht einmal realstisch zu wirken. Ähnlich wie "Das Cabinet des Dr. Caligari" (D 1920) benutzt "Algol" hier Elemente einer Phantastik, die sich an die Sprache von Albträumen anlehnt.

Typisch für die Weimarer Republik ist die Beschäftigung mit großen politischen und philosophischen Fragen. Im Grunde arbeitet "Algol" die umwerfenden technischen Neuerungen des neunzehnten Jahrhunderts und die damit einhergehende völlig veränderte Lebensweise der Menschen auf. Maschinen ersetzten Muskelkraft, aus einer bäuerlichen Gesellschaft wurde eine Industriegesellschaft, das soziale Gefüge veränderte sich grundlegend. "Algol" scheint daran eine Fundamentalkritik zu üben, wenn am Ende Peter Recht behält, der dem Acker treu geblieben war, während Robert Hernes Welt in Scherben liegt.

Auch typisch ist die merkwürdige Vermischung von Elementen der Science Fiction mit solchen aus dem Bereich von Sagen und Märchen. Der "Alien" vom Stern Algol lebt als Kobold in einem Bergwerk und schließt mit Robert Herne einen Bund wie das Rumpelstilzchen mit der Königstochter. Das erinnert unwillkürlich an "Metropolis" (D 1927), wo in der hypermodernen Stadt der Zukunft der Erfinder Rotwang in einem verwinkelten Hexenhäuschen wohnt und seinen Endkampf mit Freder auf dem Dach der mittelalterlichen Kathedrale austrägt. Überhaupt lässt sich "Algol" in vielfacher Hinsicht als Prototyp des späteren Films von Fritz Lang sehen.

Insgesamt scheint es dem Regisseur Hans Werckmeister bei "Algol" vor allem um ein großes Spektakel gegangen zu sein. Und das gelingt ihm auch, zudem noch mit einer seinerzeit bemerkenswerten Starbesetzung. Wer sich heute an den vielen Ungereimtheiten und Brüchen der Geschichte stößt, möge sich damit trösten, dass sie kaum mehr Leichtgläubigkeit beim Betrachter voraussetzt als irgendeiner aus der Flut der aktuellen Superheldenfilme.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Algol
Regie: Hans Werckmeister
Drehbuch: Hans Brennert, Friedel Kröhne
Kamera: Axel Graatkjær, Herrmann Kricheldorff
Ausstattung: Walter Reimann
Darsteller: Emil Jannings, Ernst Hofmann, Gertrud Welcker, Hans Adalbert Schlettow, Erna Morena, John Gottowt, Hanna Ralph, Käthe Haack
Produktionsfirma: Deutsche Lichtbild-Gesellschaft e.V. Berlin
Uraufführung: 03.09.1920 in Berlin

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Der Berg ruft

Die erste Regiearbeit von Arnold Fanck entführt die Zuschauer*innen in die schneebedeckten Hänge deutscher und schweizerischer Berge. Tollkühne Skifahrer rauschen steile Abfahrten auf wolkenumsäumten Bergwipfeln hinab. In malerischer Schneekulissse erkunden die unerschrockenen Männer Gletscherspalten und vollführen geradezu artistische Sprünge in glitzernder Winterlandschaft. Eine „entfesselte“, dynamische Kamera und für die damalige Zeit ungewöhnliche Zeitlupenaufnahmen fangen das Geschehen ein.

Der 1920 entstandene „Das Wunder des Schneeschuhs“ gilt als der Urknall des Bergfilms und sein Regisseur – in kongenialer Partnerschaft mit dem Kameramann Sepp Allgeier – als dessen Begründer. Arnold Fanck wurde am 06. März 1889 in Frankenthal (Rheinpfalz) geboren. In den ersten Lebensjahren gesundheitlich angeschlagen, lernte er bei einem mehrjährigen Kuraufenthalt im schweizerischen Davos Eis- und Schneesportarten kennen und schätzen. Schon bald war der Naturliebhaber, der unter anderem auch Geologie studiert hatte, in Kinoproduktionen als Helfer tätig und konnte so das Handwerk des Filmemachens hautnah kennenlernen.

„Das Wunder des Schneeschuhs“ wurde seine erste eigene Produktion und fand sofort ein begeistertes Publikum, auch im Ausland. Der Film löste in vielen Menschen die Sehnsucht nach winterlicher Sportbetätigungen und Naturentdeckung aus und war wesentlich dafür verantwortlich, dass Bergsteigen und Wintersportarten als Freizeitbeschäftigung popularisiert wurden. Fancks Erstlingswerk erfuhr zwei Jahre später als Dokumentarfilm mit inszenierten Spielszenen eine Fortsetzung, um schließlich 1931 mit dem Ton-Spielfilm „Der weiße Rausch – neue Wunder des Schneeschuhs“ als Trilogie abzuschließen – wobei die Filme vor allem aufgrund der ähnlichen Titels aufeinander Bezug nehmen und weniger durch inhaltliche Aspekte.

Fanck starb am 28. September 1974 in Freiburg im Breisgau – in den letzten Lebensjahrzehnten weitgehend unbeachtet vom damaligen Kulturbetrieb. Heute zählt er zu den großen Filmschaffenden des Weimarer Kinos und ist ein bemerkenswerter Vertreter der Neuen Sachlichkeit im Film. Seine optisch ausgefeilten und spannungsgeladenen Spielfilme "Der Heilige Berg" (1926), "Die weiße Hölle vom Piz Palü" (1929), "Stürme über dem Mont Blanc" (1930) und "S.O.S. Eisberg" (1933) werden gerne und häufig bei Filmerbefestivals und in Programm- und Museumskinos gezeigt. Dabei ist immer wieder der pathetisch-heroische Grundton seiner Werke ein Diskussionsgegenstand und inwieweit sich hier faschistisches Gedankengut wiederspiegelt. Befeuert wird die Debatte durch den Umstand, das Fanck die Schauspielerin und spätere Regisseurin Leni Riefenstahl entdeckte. Die karrierebewusste junge Frau spielte nicht nur in einigen der populärsten Fanck-Filmen mit, sondern eignete sich auch dessen filmischen Stil an, um diesen in ihren eigenen Werken, etwa in dem NS-Propagandastreifen „Triumpf des Willens" (1934) und in den 1936-Olympiafilmen, zu adaptieren.

Autor: Frank Hoyer

Credits
Titel: Das Wunder des Schneeschuhs
Regie: Arnold Fanck, Deodatus Tauern
Drehbuch: Arnold Fanck, Deodatus Tauern
Kamera: Sepp Allgeier, Arnold Fanck
Schnitt: Arnold Fanck
Darsteller: Hannes Schneider, Ernst Baader, Sepp Allgeier, Bernhard Villinger, Arnold Fanck
Produktionsfirma: Berg- und Sportfilm GmbH
Produzent: Paul Davidson
Uraufführung: im Oktober 1920 In Freiburg

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Ein Film, der einen tiefen Eindruck hinterlässt

Im Prag des 16. Jahrhunderts blickt Rabbi Löw in die Sterne und sieht Unheil auf die jüdische Gemeinde zukommen. Gemeinsam mit seinem Gehilfen Famulus fertigt er aus Lehm einen Beschützer, den Golem. Mit einem geheimen Wort, das er einem Dämon abgerungen und der Lehmfigur in die Brust eingesetzt hat, erweckt der Rabbi den Golem zum Leben uhd zieht mit ihm zum Palast, um beim Kaiser um Schutz für die jüdische Gemeinde zu bitten. Der Golem beeindruckt den Kaiser derart, dass er Rabbi Löws Wunsch entspricht.

Nun könnte alles gut sein, aber des Rabbis Tochter hat sich in einen Edelmann verliebt und Famulus ist eifersüchtig. Eigenmächtig erweckt er den Golem erneut zum Leben, um die Geliebte zu bewachen. Der Golem gehorcht ihm allerdings bald nicht mehr, entführt das Mädchen und randaliert im Ghetto. Ein kleines Kind, das ihm im Spiel das lebensstiftende Wort aus der Brust zieht, verwandelt den Berserker wieder zurück in einen Klumpen Lehm.

War der Golem die Rolle von Paul Wegeners Leben? Immerhin hat er drei Golem-Filme gedreht, von denen der hier besprochene der letzte und bekannteste ist. Wegener war ein gefeierter Bühnenstar und hat in über 80 Filmen meist Hauptrollen gespielt, aber heute erinnert man sich an ihn meist in der Maske des Lehmwesens. Das hat seine Gründe.

"Der Golem, wie er in die Welt kam" ist ein Film, der einen tiefen Eindruck hinterlässt. Die Ghettostadt, die der Startarchitekt Hans Poelzig bauen ließ, ist von einzigartiger Wirkung und bettet die fantastische Geschichte in eine ganz eigene Welt, die ihr Stimmigkeit und fast so etwas wie Glaubwürdigkeit verleiht. Dazu kommt Wegners ikonische Maske als Golem. Fotos dieser Maske in Publikationen wie "Famous Monsters of Filmland" hatten den Film seit den 50er Jahren, in Zeiten wo er nirgends zu sehen war, zur Legende werden lassen, zum Prototyp aller späteren Monsterfilme, zum Urgroßvater von "Frankenstein".

Karl Freunds Kamera setzt die geniale Filmarchitektur und Wegeners tönernen Koloss brilliant in Szene und eine Reihe erstklassiger Darsteller, von Albert Steinrück über Ernst Deutsch bis zum ewigen Filmkind Loni Nest tragen ihren Teil dazu bei, dass "Der Golem" auch jenseits des Kreises der fanatischen Monsterfilmfreunde als Meisterwerk gilt. "Der Golem" liegt in gleich zwei frischen Restaurierungen vor, die ihn in seiner ganzen Pracht erlebbar machen.

Autor: Arndt Pawelczik

Credits
Titel: Der Golen, wie er in die Welt kam
Regie: Paul Wegener, Carl Boese
Drehbuch: Paul Wegener, Henrik Galeen
Kamera: Karl Freund
Bauten: Hans Poelzig, Kurt Richter
Musik: Dr. Hans Landsberger
Darsteller: Paul Wegener, Albert Steinrück, Lyda Salmonova, Ernst Deutsch, Lothar Müthel, Otto Gebühr, Loni Nest Hans Sturm, Dore Paetzold, Max Kronert, Greta Schröder
Produktionsfirma: Projektions-AG Union
Produzent: Paul Davidson
Uraufführung: 29.10.1920 in Berlin

Hintergrundinformation zur Musik
2018 wurde der Klavierauszug der verschollen geglaubten Originalmusik von "Der Golem, wie er in die Welt kam" von dem Stummfilmmusiker Richard Siedhoff wiederentdeckt und dann von ihm aufwändig rekonstruiert. Die Uraufführung der wiederhergestellten Partitur erfolgte im September 2020 im Deutschen Nationaltheater Weimar. Mehr zur umjubelten Aufführung hier und ein Interview mit Richard Siedhoff über die Rekonstruktion von Dr. Hans Landsbergers bemerkenswerter "Golem"-Komposition hier auf Stummfilm Magazin.

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Ein intimer Ausstattungsfilm

"Anna Boleyn" erzählt, einigermaßen historisch korrekt, die Geschichte der zweiten Ehefrau Heinrichs VIII: wie Anna als Hofdame der Königin des Königs Interesse erregt, wie er sich scheiden lassen will, um sie zu heiraten, wie der Papst ihm die Scheidung verweigert und Heinrich England darauf der päpstlichen Autorität entzieht, wie auch Anna Heinrich keinen Thronfolger gebiert, er sich nun ihrer Hofdame Jane Seymour zuwendet und Anne in einem fingierten Prozess des Ehebruchs überführen und hinrichten lässt. „Anna Boleyn“ ist der eindeutige Versuch der UFA, den enormen internationalen Erfolg des Lubitsch-Films "Madame Dubarry" aus dem Vorjahr zu wiederholen. Das Thema ist durchaus ähnlich gewählt und – wenn das überhaupt möglich ist – wirft man diesmal noch mehr in die Waagschale.

"Anna Boleyn" ist ein Ausstattungsfilm, der keinen Vergleich zu scheuen braucht - weder mit DeMille, noch mit Griffith, noch mit irgendeinem Film aus den hundert seither vergangenen Jahren. Auf dem Tempelhofer Areal haben Kurt Richter und Hans Poelzig das London des 16. Jahrhunderts neu entstehen lassen.Viele Stockwerke hoch türmen sich die Bauten, bei einem Turnier bevölkern Statisten vier übereinander liegende Balkone und selbst die Westminster Abbey scheint in Originalgröße vor uns zu stehen. In den Straßenzügen und auf den Plätzen tummeln sich Massen von Statisten in zeitgenössischen Kostümen und Rüstungen.

Dem perfekten Illusionismus der Bauten entsprechen auch die Interieurs. Schnitzereien, Stoffe, Möbel – alles atmet englische Renaissance. Mit ungeheurem Aufwand sind bei weitem nicht nur die Hauptdarsteller in prunkvolle zeitgenössische Gewänder gekleidet, die sie wirken lassen als seien sie soeben einem Gemälde von Holbein entstiegen.

Und dennoch ist "Anna Boleyn" nicht nur ein Ausstattungsfilm. Wiederum gelingt es Lubitsch hier in all der Opulenz immer wieder die intimen Momente herauszustellen, die den Zuschauern Einblicke in das Seelenleben der Charaktere geben. "Anna Boleyn" lebt vor allem Dingen von den dramatischen Konfrontationen: zwischen Heinrich VIII und Katharina von Arragonien, zwischen Anna Boleyn und Jane Seymour, zwischen Heinrich Norris und Marc Smeton. So wechseln sich eindrucksvolle Totalen der Kulissen mit nicht weniger eindrucksvollen Großaufnahmen der Darsteller ab.

Die menschliche Komponente der Erzählung ruht vor allem auf den Schultern der zwei Hauptdarsteller. Emil Jannings spielt nicht, er ist Heinrich VIII, wie er frisst, säuft, liebt, zürnt und Tobsuchtsanfälle bekommt wie ein Dreijähriger. Wir sehen ihm mit wohligem Schaudern zu, wie er in königlicher Willkür seine Triebe auslebt, auch wenn er dabei mit Menschenleben spielt. Henny Porten bietet den nötigen Widerpart, indem sie quasi uns repräsentiert. Ebenso wie wir schaut sie dem Treiben am englischen Hofe mit Befremden zu. Ihre Regungen sind stets nachvollziehbar und menschlich. Nur einmal erliegt sie der Versuchung, ihre Position auszunutzen und bereut es sofort.

So sind beide Darsteller nach ihren Stärken besetzt. Jannings bietet einmal mehr das Spektakel, den Schauwert, und Henny Porten ist für das Publikum wie so oft die Identifikationsfigur auf der Leinwand. Den Ausstattungsfilm "Anna Boleyn" bewahren beide Darsteller durch ihre Präsenz und ihr mitreissendes Spiel vor dem Schicksal vieler anderer Kostümfilme, nämlich in Ehrfurcht vor der Geschichte und dem eigenen Budget in gähnender Langeweile zu versanden. Dabei werden sie unterstützt von der üblichen Garde großartiger Charakterdarsteller.

Autor: Arndt Pawelczik
 

Credits
Titel: Anna Boleyn
Regie: Ernst Lubitsch
Drehbuch: Hanns Kräly, Fred Orbing
Kamera: Theodor Sparkuhl
Bauten: Kurt Richter, Ferdinand Bellan
Requisite: Hans Poelzig
Darsteller: Emil Jannings, Henny Porten, Hedwig Pauly-Winterstein, Hilde Müller, Ludwig Hartau, Paul Hartmann, Aud Egede-Nissen, Maria Reisenhofer, Ferdinand von Alten, Adolf Klein, Wilhelm Diegelmann, Friedrich Kühne, Paul Biensfeldt, Karl Platen, Erling Hanson, Sophie Pagay, Josef Klein
Produktionsfirma: Projektions-AG Union, Messter-Film GmbH
Produzent: Paul Davidson
Uraufführung: 03.12.1920 in Weimar

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