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Moderne Stummfilme: Tonfilme im Gewand von Stummfilmen

Stummfilme faszinieren auch nach der Einführung des Tonfilms noch viele Filmschaffende.

Fünf Oscars für "The Artist": Mit einem Schlag war im Jahr 2011 ein Stummfilm wieder im öffentlichen Bewusstsein. Oder zumindest ein Film, der den Stummfilm imitierte. Denn: Filme mit technisch synchronisierter Tonspur können per se keine Stummfilme sein. Sie simulieren diesen.

Moderne Stummfilme der Tonfilmzeit verwenden oftmals stummfilmtypische Elemente wie den Schwarzweißfilm-Look, monochrome Colorierung, Zwischentitel und übertriebene Gestik und Mimik. Auffälligstes Merkmal für einen Stummfilm oder einen Film, der Stummfilme imitiert, ist, dass das gesprochene Wort, zum Beispiel in Dialogszenen, nicht zu hören ist.

"Echte" Stummfilme können ihre Handlung auch ohne Ton verständlich erzählen, sie wurden unter der Voraussetzung gedreht, dass sie ohne Musik, Geräusche, Sprache oder live eingesprochene Erklärungen funktionieren. Die oftmals improvisierte bzw. aus Musikversatzstücken kompilierte Live-Musikbegleitung bei einem Stummfilm diente meist der emotionalen Unterstützung der Handlung und beinhaltete eher selten eine weitere, tiefere Deutungsebene des Geschehens.

Hier eine Auswahl von bemerkenswerten "Stummfilmen" aus der Tonfilmzeit:

"Lichter der Großstadt" (City Lights, 1931) von Charles Chaplin
Im Mittelpunkt dieses sowohl komischen wie auch sentimentalen Filmmeisterwerks steht Chaplins bekannte Figur des Tramps, der einem blinden Blumenmädchen hilft. Der Film wurde am 30. Januar 1931 in Los Angeles uraufgeführt. Das American Film Institute wählte im Jahr 2000 "Lichter der Großstadt" auf Platz 38 in der Liste der 100 besten amerikanischen Filmkomödien aller Zeiten. mehr

"Moderne Zeiten" (Modern Times, 1936) von Charles Chaplin
Charles Chaplin drehte "Moderne Zeiten" 1933 bis 1936. Der Film kritisiert die Entmenschlichung der Arbeiter durch die Monotonie der Industrialisierung. Der Film gilt als Satire auf den Tonfilm, da er Geräusche und Sprache persiflierend einsetzt. Moderne Zeiten ist der einizige Film Chaplins, in der der Tramp am Filmende nicht alleine, sondern zuammen mit seinem weiblichen Gegenstück (gespielt von Paulette Goddard) am Horizont entschwindet. mehr

"Film" (1965)
Der Streifen mit dem schlichten Namen "Film" ist ein amerikanischer Experimentalfilm aus den 1960er-Jahren mit Stummfilmstar Buster Keaton in der Hauptrolle. Das Drehbuch stammt von Samuel Beckett, Regie führte Alan Schneider. mehr

"Mel Brooks’ letzte Verrücktheit: Silent Movie" (Silent Movie, 1976) von Mel Brooks
Kommödien-Regisseur Mel Brooks drehte mit "Silent Movie" eine mit Hollywoodstars wie Marty Feldman, Burt Reynolds, Liza Minnelli, James Caan und Anne Bancroft garnierte Stummfilm-Hommage, die trotz der einen oder anderen Länge zu unterhalten weiß. Pantomime Marcel Marceau sagt mit "Non!" das einzige gesprochene Wort im Film. Silent Movie wurde vier Mal für den Golden Globe nominiert. mehr

"Die Gebrüder Skladanowsky" (1995) von Wim Wenders
Der von Wim Wenders mit Studenten der HFF München gedrehte Film erzählt auf unterhaltsam-ironische Weise die Geschichte der Gebrüder Skladanowsky. Am 1. November 1895 präsentierten die Filmpioniere Max und Emil Skladanowsky in Berlin vor zahlendem Publikum ihre Kurzfilme, ein Meilenstein der Filmgeschichte. In "Die Gebrüder Skladanowsky" sind in kleineren und größeren Rollen unter anderem Udo Kier, Rüdiger Vogler und Wim Wenders zu sehen. Interviewpassagen mit Lucie Hürtgen-Skladanowsky, einer Nachfahrin, ergänzen die Filmhandlung. mehr

"Juha" (1999) von Aki Kaurismäki
Der finnische Regisseur Aki Kaurismäki war bei dieser Produktion für Regie, Drehbuch und Produktion verantwortlich. Die Geschichte lehnt sich an den gleichnamigen Roman von Juhani Aho an und ist die bislang vierte Verfilmung des Stoffes. Bei Absolut Medien ist eine Doppel-DVD mit der hochgelobten Verfilmung von 1921 (Regie Mauritz Stiller) und der Kaurismäki-Version erhältlich. mehr

"The Call of Cthulhu" (2005) von Andrew Leman
"The Call of Cthulhu" ist eine Adaption von H. P. Lovecraft gleichnamiger fantastischer Kurzgeschichte. Der Film wurde von Sean Branney und Andrew Leman produziert und von der H.P. Lovecraft Historical Society veröffentlicht. Stilistisch lehnt sich "The Call of Cthulhu" an den deutschen expressionistischen Film an und hat eine Länge von 47 Minuten. mehr

"Brand Upon the Brain!" (2006) von Guy Maddin
Der Film erzählt auf amüsant-groteske Weise eine Art Frankensteingeschichte. Bei verschiedenen Aufführungen sind als Sprecher unter anderem schon Udo Kier, Isabella Rosssellini, Eli Wallach und Laurie Anderson live zum Film aufgetreten.

"Der die Tollkirsche ausgräbt" (2006) von Franka Potente
Die Regie bei "Der die Tollkirsche ausgräbt" führte die vor allem als Schauspielerin bekannte Franka Potente ("Lola rennt", 1998), die auch das Drehbuch schrieb. Der Film ist 43 Minuten lang und wurde 2006 auf der Berlinale uraufgeführt. "Der die Tollkirsche ausgräbt" spielt im Jahr 1918 und erzählt mit Humor die groteske Geschichte von einem Mädchen, das sich in einen Zeitreisenden aus der Jetztzeit verliebt. mehr

"La Antena" (2007) von Esteban Sapir
Regisseurs Esteban Sapir verneigt sich mit seinem zweiten Spielfilm "La Antena" mit optischen Spielereien vor Filmklassikern wie "Die Reise zum Mond" (1902) und "Metropolis" (1927). Der Film erschien in Deutschland direkt auf DVD. mehr

"The Artist" (2011) von Michel Hazanavicius
"The Artist", eine gelungene, wenn auch etwas sterile Hommage an die goldenen Zeiten Hollywoods und das Filmemachen als künsterlisches Handwerk, wurde unter anderem mit fünf Oscars, drei Golden Globe Awards, sieben BAFTA Awards und sechs Césars ausgezeichnet. Die beiden französischen Schauspieler Jean Dujardin und Bérénice Bejo brillieren unter der Regie ihres Landmannes Michel Hazanavivius in den Hauptrollen. Der Film wurde stilecht in 4:3, schwarzweiß und mit Zwischentiteln gedreht. mehr

"A Silent Rockumentary" (2012) von Jonas Grosch
A Silent Rockumentary über die Mannheimer Independent Band Mardi Gras.BB wurde 2012 bei den Biberacher Filmfestspielen uraufgeführt und mit dem „Dokubiber“ als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. mehr

"Blancanieves – Ein Märchen in Schwarz-Weiß" (2012) von Pablo Berger
Die spanisch-französische Produktion "Blancanieves" ist eine inhaltlich dem Grimm-Märchen "Schneewittchen" angelehnte Hommage an den Stummfilm. Der visuell beeindruckende Film wurde 2012 auf dem Toronto International Film Festival uraufgeführt und gewann, neben anderen Preisen, 2013 den Europäischen Filmpreis in der Kategorie "Bestes Kostüm". mehr

"Gutterdämmerung" (2016) von Björn Tagemos
Der Film wurde als „der lauteste Stummfilm aller Zeiten" promotet. Regie führte der belgische Künstler Björn Tagemos. Als Darsteller sind unter anderem Iggy Pop, Grace Jones, Lemmy Kilmister, Tom Araya, Henry Rollins und Jesse Hughes auf der Leinwand zu sehen. mehr

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Literaturhinweis zum Thema "Moderne Stummfilme"
"Der moderne Stummfilm - Zur Klassifizierung einer Stilfamilie des Kinos" von Lutz Granert, 140 Seiten, VDM Verlag Dr. Müller, erschienen im Dezember 2009, ISBN-10: 3639222237, ISBN-13: 978-3639222234