Archive, Museen und ihre Sammlungsbeschreibungen: Diskriminierende Sprache erkennen und beheben

Das neue EU-Projekt DE-BIAS entwickelt unter Leitung des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum zusammen mit zehn Partnerinstitutionen ein Werkzeug, das problematische Begriffe in Archivdaten erkennt und Kontextualisierungen vorschlägt. Die Anwendung wird in fünf Sprachen (Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Niederländisch) ausgespielt. 

Ist “mauscheln” ein problematischer Begriff? “Exotisch”? “Kristallnacht”? “Mischpoke”? Kommt immer drauf an. Während “exotische Früchte” noch hinnehmbar sein mag, so gilt dies für “exotische Menschen” keineswegs. Denn wenn jemand als “fremdartig, anders, abweichend, ungewöhnlich” bezeichnet wird, sagt das vor allem etwas aus über die Perspektive der sprechenden Person. Während die “Kristallnacht” im Ausland häufig als Eigenname weiterhin für die Novemberpogrome am 09. November 1938 wie selbstverständlich benutzt wird, gilt der Begriff in Deutschland als krass beschönigend. Und während “mauscheln” und “Mischpoke” im Kontext jüdisch-jiddischer Literatur ganz alltäglich erscheinen mögen, werden sie etwa im politischen Schlagabtausch doch häufig abwertend eingesetzt. 

Sprache ist immer auch ein Ausweis der Haltung des Sprechenden. Sie ist daher zwangsläufig einem ständigen Wandel unterzogen, was – nicht nur im deutschsprachigen Raum – derzeit am lautesten an der Gender-Diskussion zu beobachten ist. Doch Begriffe, die sich im Laufe der Jahrzehnte als problematisch herausstellen, gab es schon immer. Für Archive, deren Bestände und Kataloge teilweise seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten bestehen, ist Sprache mit Blick auf die Verschlagwortung der Sammlungen daher ein brisantes Thema, dem sich das vom DFF koordinierte Projekt DE-BIAS nun angenommen hat. Das EU-Projekt entwickelt unter Leitung des DFF zusammen mit zehn Partner-Institutionen ein Werkzeug, das problematische Begriffe in Sammlungsbeschreibungen von Archiven automatisiert erkennt und Kontextualisierungen sowie Alternativbegriffe vorschlägt. Es kann in fünf Sprachen – Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Niederländisch – angewendet werden. 

Werkzeug gegen diskriminierende Sprache in Sammlungsbeschreibungen 

Das neue Werkzeug oder – englisch – “Tool” greift dabei auf ein Vokabular zurück, das problematische oder diskriminierende Begriffe umfasst und diese im offenen und frei zugänglichen Online-Portal Europeana, das die digitalisierten Bestände von mehr als 5.000 europäischen Archiven, Museen und vergleichbaren Einrichtungen durchsuchbar macht, markiert und zeitgemäße Begriffe vorschlägt. Das verwendete Vokabular speist sich dabei zum einen aus den Ergebnissen anderer Initiativen und Projekte wie dem niederländischen "Words Matter" oder dem internationalen Linked-Data-Vokabular von LGBT*IQA-Begriffen, "Homosaurus", es wird aber im Rahmen von DE-BIAS überarbeitet, aktualisiert und erweitert. 

Drei Themenschwerpunkte 

Vier der elf Partnerorganisationen arbeiten für das Projekt an drei Themenschwerpunkten: “Sexuelle Identität und Gender” (European Fashion Heritage Association), “Kolonialismus und Migration” (Katholische Universität Leuven und das Niederländische Institut für Sound und Vision) sowie “Antisemitismus in der Sprache” (DFF in Zusammenarbeit mit Lea Wohl von Haselberg von der Filmuniversität Potsdam Babelsberg). Angeboten habe sich das Thema “Antisemitismus” für das DFF laut Projektleiterin Kerstin Herlt (DFF) auch mit Blick auf die Sammlungsbestände des DFF, etwa zum bedeutenden deutsch-jüdischen Filmproduzenten Artur Brauner sowie zum Filmregisseur Viktor Vicas; aber auch, weil somit, nach der Beteiligung an Forschungsprojekten wie der “Cinematographie des Holocaust”, zum jüdischen Filmschaffen in Deutschland oder der “Visual History of the Holocaust” ein langjähriger Forschungsschwerpunkt fortgesetzt wird. 

Alle vier Partner arbeiten dabei in eigens organisierten Workshops eng mit den jeweiligen marginalisierten Gruppen zusammen, um eine Kontextualisierung samt möglicher Alternativbegriffe zu erarbeiten, die später im Vokabular angeboten werden. Das Institut für Sound & Vision etwa stützt sich auf das Know-how der surinamesischen Community in den Niederlanden, das Team der Katholischen Universität Leuven arbeitet eng mit der kongolesischen Community in Belgien zusammen, die etwa archivierte Bilddokumente aus der Kolonialzeit für das Projekt mit eigenen Worten selbst beschreiben. 

Zusammenarbeit mit Expert:innen für jüdische Studien 

Das “Antisemitismus”-Vokabular trägt das DFF unter anderem in Workshops mit Expert:innen für jüdische Studien und jüdische Filmgeschichte zusammen, sowie perspektivisch auch mit Bildungseinrichtungen gegen Antisemitismus und Rassismus. 

Bevor das neue Tool im Herbst zum ersten Mal in die Europeana integriert wird, sollen das erarbeitete Vokabular und seine Kontextualisierung von Expert:innen und Allies auf Tauglichkeit und Richtigkeit überprüft und validiert werden. 

“Es ist geplant, dass unser neues Tool samt Vokabular in der Europeana zum Einsatz kommt und so einen Beitrag dazu leistet, dass veraltete, potenziell verletzende Ausdrücke dort einmal angemessen kontextualisiert sind”, sagt Herlt. Im Nachgang soll es dann auch anderen interessierten Archiven für deren Datenbanken zur Verfügung gestellt werden. Hier kann es den Archiven dann dabei helfen, ihre eigenen Sammlungs- und Objektbeschreibungen automatisiert nach problematischen Begriffen zu durchsuchen und so dazu beitragen, dass Einträge lokal gezielt überarbeitet werden können. 

Jüdisches Filmschaffen auf Filmportal sichtbarer machen 

Ein zweites wichtiges Standbein von DE-BIAS ist beim DFF, auf der Plattform zum deutschen Film filmportal.de, das Werk jüdischer Filmschaffender besser herauszustellen. So gilt es hier etwa, Filmschaffende aus der sogenannten zweiten Reihe, aus Gewerken wie Schnitt, Kostüm oder Szenenbild, sichtbarer zu machen und ihre Personeneinträge etwa mit Biographien und Fotos auszustatten. Auf der anderen Seite sollen existierende Biographien verstärkt auf offensichtliche Brüche untersucht werden, wenn bei vereinzelten Filmschaffenden auf der Plattform etwa unklar ist, dass sie jüdisch waren, aber ihre beruflichen Biographien in den 1930er oder frühen 1940er Jahren auffällig plötzlich abbrechen. “Wir wissen, dass es hier zahlreiche eklatante Lücken des Nichtbeschriebenen gibt”, betont Herlt die aktuelle Herausforderung. 

Aufmerksamkeit schaffen, Kompetenzen bilden 

Ziel des vom Digital Europe Programm der EU geförderten Projektes ist es, Aufmerksamkeit für das Problem des diskriminierenden Vokabulars in Archiven zu schaffen. Es gehe jedoch auch um Kompetenzbildung, betont Herlt. So seien Webinare und Workshops für Kultureinrichtungen ebenso geplant wie Empfehlungskataloge für Politiker:innen und Entscheidungsträger:innen. Natürlich, so Herlt, sei DE-BIAS nur ein erster Vorstoß, der auf problematische Sprache in der Archiv-und Museumspraxis aufmerksam macht, “da wartet europaweit noch sehr viel Arbeit auf uns, die natürlich nur zu schaffen ist, wenn die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden”. 

An dem Projekt sind neben dem DFF folgende Institutionen beteiligt: 

Archives Portal Europe Foundation (Niederlande), ECCOM Centro Europeo per l’Organizzazione e il Management Culturale (Italien), Europeana Foundation (Niederlande), European Fashion Heritage Association (Italien), Katholische Universität Leuven (Belgien), Michael Culture Association (Belgien), Ministerium für Kultur und Kommunikation (Frankreich), The Netherlands Institute for Sound & Vision (Niederlande). Für die technische Umsetzung sind ThinkCode (Zypern) und Datoptron (Griechenland) zuständig. 

Mehr zu DE-BIAS auf der Website des DFF

Und auf der offiziellen Projekt-Seite bei Europeana

Textquelle: DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum

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