Filmhistoriker Friedemann Beyer über das Programm der Ufa Filmnächte 2024

Die Berliner Museumsinsel ist wieder Schauplatz der UFA Filmnächte, die in diesem Jahr zum vierzehnten Mal durchgeführt werden. 

Vom 21. bis 23. August 2024 präsentieren Bertelsmann und UFA vier Klassiker des Weimarer Kinos, allesamt live begleitet von renommierten Musiker:innen. Stummfilm Magazin sprach mit dem Filmhistoriker Friedemann Beyer, der das Festival seit über einem Jahrzehnt kuratiert. 

Am 21. August starten die UFA Filmnächte 2024. Lassen Sie uns gerne einen gemeinsamen Blick auf die Filme werfen. Gestartet wird ja mit dem amüsanten Anny-Ondra-Vehikel "Saxophon-Susi" ... 

 ... eine der ersten deutschen Produktionen des tschechischen Erfolgsduos Ondra-Lamac (d.i. ihr Regisseur und damaliger Partner Karel Lamaç) nachdem sie 1928 aus Prag nach Berlin gezogen sind. Dort bekam Ondras Karriere den richtigen Schub. Die Besetzung mit Mary Parker, Gaston Jacquet und Malcom Tod ist international, der Film lief in ganz Europa in den Kinos. Ondra spielt eine verwöhnte, exzentrische Tochter aus konservativem Elternhaus, die von einer Karriere als Tänzerin träumt und mit ihrer Freundin nach London aufbricht, um bei den “Tiller Girls” Foxtrott zu lernen. Der Film entstand aber überwiegend in Berlin und man sieht Einstellungen etwa aus dem damaligen “Metropol-Theater” (heute: Komische Oper) vor seiner Zerstörung. Es wird viel getanzt und musiziert in diesem Stummfilm, und das sieht man nicht nur auf der Leinwand, sondern hört es auch live von der wunderbaren niederländischen Begleitcombo “The Sprockets”, für die Bandmitglied Frido ter Beek im Auftrag von Bertelsmann eine swingende Musik im Stil der “Roaring Twenties” geschrieben hat. “Saxophon-Susi” ist eigentlich ein Vorgriff auf den Tonfilm, der nur wenige Jahre später seinen Siegeszug antrat. Ein besonderes Bonbon in “Saxophon Susi” ist der junge Hans Albers in einer Nebenrolle als englischer Lebemann. Die UFA-Filmnächte zeigen in Premiere die digital restaurierte und rekonstruierte Fassung des Films, die das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum (DFF) Frankfurt a.M. mit Unterstützung von Bertelsmann erstellt hat.  

Am zweiten Abend steht dann der Ufa-Kulturfilm "Die Stadt der Millionen" auf dem Programm, der einerseits im Schatten von Walter Ruttmans berühmten "Berlin - Die Sinfonie der Großstadt" steht, aber dennoch einen ganz besonderen Reiz hat, gerade auch für das heutige Publikum.

“Die Stadt der Millionen” entstand 1925, also zwei Jahre vor Ruttmanns Berlinporträt. Doch anders als Ruttmann, dessen Film unter dem Einfluss des russischen Formalismus entstand und bei aller Faszination der schnell geschnittenen Bilder einen etwas mechanischen Charakter hat, lässt sich Adolf Trotz in der “Stadt der Millionen” mehr Zeit für seinen Protagonisten Berlin. Man sieht nicht nur den Verkehr und das Menschengewühl der damals größten Stadt auf dem europäischen Kontinent, sondern auch die (damals noch existierenden) beschaulichen Winkel rund um die Fischerinsel. Auch wirft der Film einen nostalgischen Blick zurück in das preußische Berlin des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts: die Zeit der Aufklärung und Emanzipation des Bürgertums. Hier gibt es nachinszenierte Szenen nach Art der heute gängigen “Scripted Reality”-Formate. Vor allem aber erleben die Zuschauer die Stadt mit ihren zahlreichen historischen Bauten als homogenes urbanes Gebilde, wie es heute durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und neue städtebauliche Konzepte der Nachkriegszeit weitgehend verschwunden ist. Musikalisch unterlegt wird dieser Bilderbogen durch Berlins Vergangenheit mit einem elektronischen Soundtrack von DJ Raphaël Marionneau, der bereits mehrmals bei den UFA-Filmnächten zu Gast war und einen reizvollen Kontrast zu dieser sehenswerten Produktion der ehemaligen Ufa-Kulturfilmabteilung schafft.  

Mit einem Doppelprogramm am 23. August enden die Ufa-Filmnächte. Bei den zwei Lubitsch-Produktionen dreht sich viel um geschlechtliche und sexuelle Identität, was vielleicht manche heutige Betrachter erstaunen mag, die das Thema als besonders modern verorten.

Das Doublefeature mit zwei frühen Komödien des Berliners Ernst Lubitsch beschließt das Programm auf höchst unterschiedliche Weise: “Kohlhiesels Töchter” ist die Adaption eines bayerischen Volkstheaterschwanks, eine freie Bearbeitung von Shakespeares “Der widerspenstigen Zähmung”, die in den bayerischen Alpen spielt. Nur scheinbar geht es hier um tradierte Rollenbilder, sprich: die Zähmung einer widerspenstigen jungen Frau durch ihren künftigen Mann. Henny Porten spielt in einer Doppelrolle die kratzbürstige Liesl und die hübsche Gretl. Ein Stück schenkelklopfenden Humors, für manche im Zeitalter heutiger Wokeness eher fragwürdig. Tatsächlich kann diese deftige Komödie aber auch als Persiflage auf überkommenes patriarchalisches Verhalten gesehen werden – ​ wozu ich persönlich neige. Denn Lubitsch war auch bereits in seinen frühen Filmen bevorzugt doppeldeutig, ehe er diese Haltung im “Lubitsch-Touch” seiner amerikanischen Filme perfektionierte. Der zweite Film des Abends “Ich möchte kein Mann sein” steht in der Tradition italienischer Buffa-Komödien des Theaters und der Oper. Lubitsch, der ja selbst vom Theater kam (nämlich von den Berliner Reinhardt-Bühnen), hat dieses Verkleidungsgenre meisterhaft fürs Kino adaptiert: Um dem Gefängnis der restriktiven Erziehung ihres Vormunds zu entkommen, denen sie als junge Frau ausgesetzt ist, lässt sich die rebellische Ossi (Ossi Oswalda) als Mann einkleiden und genießt von jetzt an jede Menge Freiheit – stößt aber auch an ihre Grenzen, wenn es darum geht, männliches Gebaren zu adaptieren. 

Beide Komödien (die eine rustikal, die andere urban) stehen in starkem Kontrast zueinander und zeigen doch Lubitschs Vielseitigkeit und das breite Spektrum seines Inszenierungstalents. Für beide Filme hat Florian C. Reithner, der zuletzt 2022 mit seiner Komposition zu “Der Berg des Schicksals” das Publikum der UFA-Filmnächte begeisterte, im Auftrag von Bertelsmann neue Musiken geschrieben: eine auskomponierte Fassung für “Kohlhiesels Töchter”, gespielt vom “Metropolis-Orchester Berlin” unter Burkhard Götze, eine Improvisation für “Ich möchte kein Mann sein” gespielt vom (fünfköpfigen) “Ensemble Narrativ” unter Mitwirkung und Leitung des Komponisten.

Welche unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen werden zu den vier Filmen zu hören sein? 

Live-Musik zu Stummfilmen macht mindestens 50 Prozent ihrer Wirkung aus. In diesem Jahr präsentieren die UFA-Filmnächte ein breites stilistische Spektrum: von flotten Tanzrhythmen der 1920er Jahre über eher klassisch-romantische Scores mit folkloristischen Elementen bis hin zu elektronischen Klängen der Gegenwart.

Wir danken Ihnen sehr für die interessanten Einblicke und wünschen den UFA Filmnächten 2024 viel Erfolg!
Das Interview führte Frank Hoyer.

Linktipps: Die UFA Filmnächte im Internet unter www.ufa-filmnaechte.de und www.facebook.com/ufafilmnaechte 

Buchtipp: Die Ufa – Ein Film-Universum von Friedemann Beyer, morisel (München 2017), ISBN 978-3-943915-15-0

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